

Hirnstromern

Gelesenes 2012
Die Jakobsleiter
Marten't Haart
gelesen im November 2012

Mit dem Rad ist Adriaan Vroklage zur Insel Rozenburg gefahren. Ein sonniger, warmer, ja paradiesischer Tag mit seiner Cousine Klaske liegt hinter ihm. Als er nach Hause zurückkehrt, erfährt er, daß seine Eltern ihn bereits seit Stunden für tot halten: Aus dem Hafenbecken, wo die Fähre für die Insel anlegt, hatte man am Nachmittag die durch Schiffsschrauben zerstückelte Leiche eines Jungen geborgen, und irgendwer hatte Adriaan kurz zuvor am Hafen gesehen. Seit diesem Ereignis ist Adriaan der festen Überzeugung, zu Unrecht zu leben. Er glaubt, Buße tun zu müssen, und nimmt sich vor, die ungewöhnlich zurückgezogen lebende Familie des toten Jungen kennenzulernen.
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Eine Explosion von Sinnlichkeit, eine eigenartige, geradezu biblische Verstrickung in Schuld und Sühne.
Literarische Welt
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Maarten t`Hart ist ein nachdenklicher Roman über das Jungsein gelungen. den trotz aller Melancholie ein süßer Hauch von Raps durchweht.
Die Zeit
Seerücken
Peter Stamm
gelesen im November 2012

Peter Stamm erzählt ungeheuer kunstvoll und scheinbar so einfach von Leben, die nicht gelebt, die aufgeschoben, erinnert und schließlich verpasst werden. In lakonischen Sätzen und unauffällig stimmungsvollen Szenen findet er die kaum spürbaren Eruptionen, die sich im Rückblick als Erdbeben erweisen. Die Einsamkeit im gemeinsamen Urlaub. Ein verlassenes Hotel in den Bergen. Ein Mädchen allein im Wald. Ein Pfarrer, der die Vögel füttert. Die erste Liebe mit Gewicht. Peter Stamm ist ein Meister der Kurzgeschichte.
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Mehr als je zuvor komprimiert er in seinen besten Momenten einen ganze Romanstoff auf wenige Seiten.
Christoph Schröder, Süddeutsche Zeitung
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Eigensinnig, mitreißend, brillant: Mit seinen neuen Erzählungen „Seerücken“ beweist Peter Stamm erneut seine herausragende Begabung.
Pia Reinacher, Weltwoche
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Was das Scheitern anbelangt, das leise Scheitern im Alltag, dem kein dramatischen Leiden folgt, darin ist Peter Stamm ein literarischer Meister. (…) Auf geradezu prekäre Weise sind seine Erzählungen auch darin stimmig, dass sie die Verzagtheit zum natürlichen Lebenszustand der Menschen erklären.
Karl-Markus Gauss, Die Zeit
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Ein brillanter Erzähler.
Der Spiegel
Montauk
Max Frisch
gelesen im Oktober 2012

Montauk ist ein indianischer Name, er bezeichnet die nördliche Spitze von Long Island, hundertzehn Meilen von Manhattan entfernt; dort findet das Wochenende statt, das erzählt wird.
In Montauk heißt es: >Ich möchte dieses Wochenende beschreiben können, ohne etwas zu erfinden, diese dünne Gegenwart…<. Der Erzähler ist entschlossen, das Wochenende >autobiographisch< zu beschreiben: >Ohne Personnagen zu erfinden, die exemplarischer sind als die Wirklichkeit; ohne auszuweichen in Erfindungen.< Der große Fabulierer, der Meister der Parabel, bekennt: >Er möchte bloß erzählen…: sein Leben<. Nie hat er knapper und karger und zugleich präziser und prägnanter, nie anschaulicher und anregender geschrieben. Montauk ist eine poetische Bilanz: ein Buch der Liebe, geschrieben von einem Dichter der Angst.
Marcel Reich-Ranicki
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Ich liebe dieses Buch. Eine – im sprachlichen Sinne – grafisch aufgearbeitete Lebenserinnerung auf wenigen Seiten. Einen – in seiner Knappheit – atmosphärischeren Text habe ich selten gelesen.
Alexa Hennig von Lange
Léon und Louise
Alex Capus
gelesen im September 2012

Alex Capus erzählt von der Liebe in einem Jahrhundert der Kriege, von zwei Menschen, die gegen alle Konventionen an ihrer Liebe festhalten und ein eigensinniges, manchmal unerhört komisches Doppelleben führen. Léon und Louise – ein unvergessliches Paar unserer Gegenwartsliteratur.
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Unter allen Liebespaaren, glücklichen und unglücklichen, die uns die Literatur je ans Herz gelegt hat, ist Léon und Louise eines der originellsten und überzeugendsten Exemplare.
Kristina Maidt-Zinke in der Süddeutschen Zeitung
Magic Hoffmann
Jakob Arjouni
gelesen im August 2012

„Er bog um die halbe Kirche, und plötzlich tat sich ein überwältigendes Bild vor ihm auf: ein Boulevard, ein Avenue! … Wie ein gewaltiger Jahrmarkt kam Fred das bunte, laute, unübersichtliche Treiben vor: Cafés, Restaurants, Kinos, Kaufhäuser, Blechlawine, gelbe Doppeldeckerbusse, und dazwischen ein endloses Gewusel von Menschen. Er blien stehen und schnalzte begeistert mit der Zunge. Here we are! That’s Berlin! Fred is in town!“
So sieht Fred „Magic“ Hoffmannns erster Blick auf den Berliner Kurfürstendamm aus, nachdem er aus dem Gefängnis raus ist. Der Trubel blendet ihn und er hofft auf neues Glück. Fred hat vom großen Geld geträumt, doch der scheinbar todsichere Banküberfall, den er mit Nickel und Annette geplant hatte, ging schief. Während die beiden entkamen, wanderte er ins Gefängnis, ohne sie zu verpfeifen. Sobald er herauskommen würde, wollten sie nämlich zu dritt nach Kanada auswandern – so das gemeinsame Versprechen. Derweil sollten Nickel und Annette das Geld hüten.
Doch als Fred wieder frei ist, sieht alles ganz anders aus. Jetzt ist er ein Knastbruder und die Adresse von Annette und Nickel herauszubekommen, ist schwierig. Als er schließlich in Berlin bei beiden vor der Tür steht, hält sich deren Begeisterung über den Ankömmling in Grenzen. Annette ist Künstlerin geworden, die ihr Kohle in Filmprojekte gesteckt hat. Nickel spielt den klassischen Spießbürger, der im ehemaligen Ostberlin ohne Telefon wohnt.
Berlin stellt sich außerdem bald als hartes Pflaster dar, eine Bekanntschaft aus dem Zug prellt die Zeche, und Fred ist wieder einmal dran mit Steckbrief und allem, was dazu gehört. Wenigstens lernt er Moni kennen. Sie näht gefütterte Jacken, die sie an Russen verkauft, und sie träumt davon, ihre Ballettausbildung abzuschließen …
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Jakob Arjouni ist ein wirklich guter, phantasievoller Geschichtenerzähler. Ich versichere Ihnen, Sie werde staunend und vergnügt lesen.
Elke Heidenreich
Gegen die Welt
Jan Brandt
gelesen im Juni 2012

Gegen die Welt ist ein großer deutscher Roman: über die Wende in Westdeutschland, über Popkultur in der Provinz und über Freundschaften, die nie zu Ende gehen.
Ein Dorf in Ostfriesland, Kühe grasen auf den Wiesen, ab und zu zerreißt der Lärm eines Tieffliegers die Stille. Hinter den getrimmten Thujenhecken des Neubauviertels blühen die Blumen, in den Auffahrten glänzen frisch gewachste Neuwagen.
In dieser Welt wird Mitte der Siebzigerjahre Daniel Kuper, Spross einer Drogistendynastie, hineingeboren. Ein schmächtiger, verschlossener Junge mit viel zu viel Fantasie und zu wenigen Möglichkeiten, diese auszuleben. Bald geschehen seltsame Dinge: Mitten im Sommer kommt es zu heftigem Schneefall, ein Kornkreis entsteht, ein Schüler stellt sich auf Bahngleise, Hakenkreuze tauchen an Hauswänden auf. Für vieles wird Daniel Kuper verantwortlich gemacht. Und je mehr er versucht, die Vorwürfe zu entkräften, desto stärker verstrickt er sich. Daniel Kuper beginnt einen Kampf gegen das Dorf und seine Bewohner. Sie sind es, gegen die er aufbegehrt, und sie sind es, gegen die er am Ende verliert.
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Ein tollkühner Roman über Freundschaft und Verrat. Rebellisch und bewegend, wahnsinnig und witzig. Großes Kino.
Sönke Wortmann
Die Bücherdiebin
Markus Zusak
gelesen im April 2012
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Eines vergaß der Tod in seinen Erzählungen: mir kommen selten Tränen beim Lesen; doch als ich mit Liesel durch die zerbombte Himmelsstraße von Molching wankte, als sie dort Rudi in den Trümmmern fand, als sie ihm erst in diesem Moment einen Kuss schenkte, als sie Hans und Rosa Hubermann entdeckte, ihren Papa und ihre Mama, als Liesel hoffte, sie würden sich doch bewegen, wenn sie nur lange genug stillstand, als sie sich zwischen ihnen niedersetzte und ich mit ihr, als sie sich dort sitzend vor und zurück wiegte: da weinte ich.
Diese widersprüchliche Natur des Menschen! Ein bisschen gut, ein bisschen böse. Man muss nur einen Schuss Wasser dazu geben und umrühren.
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Molching bei München. Hans und Rosa Hubermann nehmen Liesel Meminger bei sich auf – für eine bescheiden Beihilfe, die ihnen die ersten Kriegsjahre kaum erträglicher macht. Für Liesel jedoch bricht eine Zeit voller Hoffnung, voll schieren Glücks an – in dem Augenblick, als sie zu stehlen beginnt. Anfangs ist es nur ein Buch, das im Schnee liegen geblieben ist. Dann eines, das sie aus dem Feuer rettet.
Eine Diebin zu beherbergen, wäre halb so wild, sind die Zeiten doch ohnehin barbarischer denn je. Doch eines Tages betritt ein jüdischer Faustkämpfer die Küche der Hubermanns…
„Die Bücherdiebin“ erzählt von kleinen Freuden, großen Tragödien und der gewaltigen Macht der Worte. Eine der dunkelsten und doch charmantesten Stimmen und eine der nachhaltigsten Geschichten, die in jüngster Zeit zu vernehmen war.
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Anrührend und aufwühlend.
Süddeutsche Zeitung
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Ein Buch auch, über das man beinahe so viel Gutes sagen möchte, wie es Seiten hat.
Jüdische Zeitung
Eine iranische Liebesgeschichte zensieren
Shahriar Mandanipur
gelesen im Februar 2012

Ein iranischer Schriftsteller ist es leid, immer nur düstere Romane mit tragischem Ausgang zu schreiben. Also beginnt er eine Liebesgeschichte – ein Projekt mit Tücken. Wie erzählen, wenn es den Liebenden verboten ist, sich allein zu begegnen, sich in die Augen zu schauen? Wie ein mächtiger Schatten wacht Herr Petrowitsch, der Zensor, über jedes Wort und liest sogar in den Gedanken des Schriftstellers zwischen den Zeilen.
Also müssen Sara und Dara, das junge Paar aus Teheran, tausend Listen und Tricks ersinnen, um sich zu finden. Ihre Liebe muss sich bewähren gegen Anfeindungen und Gefahren, nicht zuletzt gegen die Verdikte des Zensors, der dem Schriftsteller genau dann in die Tasten fällt, wenn die Zauberkraft der Liebe ihre Wirkung zeigt. Wird es dem Schriftsteller gelingen, die Geschichte von Sara und Dara zu einem glücklichen Ende zu bringen?
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Eine Hommage an die Liebe und an das geschriebene Wort.
Gary Shteyngart
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Ekstatisch sinnliche Prosa!
Los Angeles Times
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Ein bezaubernder, nachdenklicher und wilder Roman über den Mut und die Freiheit, allen Widrigkeiten zu trotzen.
Booklist

Der alte König in seinem Exil
Arno Geiger
gelesen im Januar 2012
Arno Geiger hat ein tief berührendes Buch über seinen Vater geschrieben, der trotz seiner Alzheimerkrankheit mit Vitalität, Witz und Klugheit beeindruckt. Die Krankheit löst langsam seine Erinnerung und seine Orientierung in der Gegenwart auf, lässt sein Leben abhandenkommen. Arno Geiger erzählt, wie er nochmals Freundschaft mit seinem Vater schließt und ihn viele Jahre begleitet. In nur scheinbar sinnlosen und oft so wunderbar poetischen Sätzen entdeckt er, dass es auch im Alter in der Person des Vaters noch alles gibt: Charme, Witz, Selbstbewusstsein und Würde. Arno Geigers Buch ist lebendig, oft komisch. In seiner tief berührenden Geschichte erzählt er von einem Leben, das es immer noch zutiefst wert ist, gelebt zu werden.
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Ein taktvolles, filigranes und fabelhaft einfaches Buch, ein Monument für einen Lebenden. … ‚Der alte König in seinem Exil‘ ist nicht nur ein berührendes Buch, es ist auch eine glänzende Zwischenbilanz des Autors und manches mehr – Familiengeschichte, Kindheitserinnerung und Autobiografie, Dorfchronik und Weltbetrachtung.
Franz Haas, Neue Zürcher Zeitung, 09.02.11
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Am meisten bewundert man an dem Buch die Kraft, mit der hier eine individuelle Geschichte erzählt wird. Es ist ein Buch über einen Vater geworden. Kein Buch über Alzheimer. Und man freut sich beim Lesen darüber, weil das vielleicht das Schönste ist, was bei so einer Konstellation geschehen konnte.
Dirk Knipphals, die tageszeitung, 19.02.11
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Arno Geiger hat ein sehr schönes, ganz und gar unsentimentales Buch über die Demenzerkrankung seines Vaters geschrieben. … „Der alte König in seinem Exil“ ist ein grandios gelungenes Buch.
Denis Scheck, ARD druckfrisch, 27.02.11

New York machen wir das nächste Mal
Arnold Stadler
gelesen im November 2011

Es war einmal ein Traum, aber aus New York wurde nichts. Man blieb erstmal hier. Was aber bleibt, ist der Traum.
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„Kaum hat der Mensch seinen Schreibtisch aufgeräumt, so glaubt er schon, es sei Ordnung möglich“ sagt Arnold Stadler, aber „Ordnung ist wohl nur eine Charakterfrage und beweist gar nichts.“ Das Unaufgeräumte ist das Ordnungsprinzip von Stadlers Literatur. In New York machen wir das nächste Mal erzählt er traurige und verträumte Geschichten: Es gibt ein unverhofftes Wiedersehen mit den alten Bekannten aus Stadlers großen Romanen, den schmerzhaft Verliebten und mit großer Geste Schüchternen. Es sind die, die ankommen und trotzdem nicht bleiben, die abreisen, um zu leben, die Ordnungs- und Glückssucher, die sich in diesen Denkbildern und Episoden wiedertreffen und so einen Empfang bereiten für ein weiteres Kapitel des einen, großen Werks, an dem Arnold Stadler unermüdlich arbeitet.