top of page

Widerhall

Und?! Hast du sie gefickt?
Wen?
Na, unsere schöne Griechin aus der zweiten Reihe.
Ach hör doch auf, du Idiot, wieso soll ich denn eine Griechin ficken, gibt doch genug deutsche Mädels.

ficken – wie ich dieses wort hasse, es ist hart und fremd, als würd ich mit dem kopf gegen eine mauer rennen, immer wieder. ja, helena, ich würd ihr gerne mal an die wäsche, aber trau dich erstmal, sie  überhaupt anzuschauen. diese scheiß angst. die feuchten hände, wenn mir ein mädchen zu nahe kommt. ich könnt mir selbst eins über die rübe ziehen. nur mal einer über die wange streichen mit meinen ungeschliffenen griffeln, mal ’nen anderen duft auf der haut, nicht immer nur diesen wichsgeschmack. scheiße, ist das kalt. nicht mehr lange, dann sind mir die finger abgefroren, dann war’s das eh mit den selbstbefriedigenden maßnahmen. so eine scheiß aktion, die ganze nacht hier im wald zu hocken.
Mann, was ist los? Hat’s dir die Sprache verschlagen? Gib mir mal n’Bier.

bier, bier. ich kann kein bier mehr sehen. ’nen warmen tee oder wenigstens ein feuerchen. aber wir wollen schließlich nicht die bullen auf den plan rufen, schon klar. bin trotzdem müde, die schule schwänz ich morgen, nee, heut. wird ja schon bald hell. hab trotzdem kein bock mehr hier. auch die schule geht mir so was von auf die eier. vielleicht sollt ich sie schmeißen, doch ne lehre anfangen oder auf’n bau für’s erste, oder ganz abhauen. ganz spießermäßig ein preisausschreiben gewinnen und auf die malediven fliegen und dort bleiben. bis die welle kommt. dann ist’s eh egal. scheiß aktion hier. holocoast, holocoast, was für ein dämliches wort, sag das mal ein paar mal hintereinander und du weißt eh nicht mehr, was du da brabbelst. ob’s den jetzt gab oder nicht. wobei dieser zwerg da aus dem iran irgendwie nicht ganz dicht ist. aber sag das mal den jungs, die stehen voll auf den, ausländer hin oder her. und dass ich seit ein paar tagen unterm rad lese und das sogar gar nicht schlecht finde, wenn ich das verlauten lasse, dann reissen die mir an der nächsten ecke die klamotten vom leib. um zu schauen, ob ich wirklich einen schwanz trage. hesse! du hast wohl n’rad ab! war das nicht dieses schwule weichei mit dieser narzisse und dem goldmündchen?! oder irgendwie so. aber wahrscheinlich haben die sowieso von tuten und blasen keine ahnung, naja, vom blasen schon, aber nicht vom lesen.
Sag mal, Ludwig, bist du taub oder machst du schlapp? Gib mir endlich mal ein Bier.
Nenn mich Luggi wie eh und je, dann gibt’s eins. Und bei Ludwig gibt’s auch eins, aber mit der hier. Ludwig, Ludwig, ich kann’s nicht mehr hören. Seitdem dir diese Nazikacke zu Kopf gestiegen ist, ist bei dir nichts mehr wie es mal war.
Na, jetzt aber. Ein schöner, alter, deutscher Name. Da kann man nicht meckern. Aber okay, für’n Bier eben auch das: liebster Luggi, kannst du mir bitte mal das Bier reichen?! Na also, geht doch, vielen, herzlichen Dank auch.
Du mich auch.
ich könnt meine alten mit ’nem stein in den jordan für diesen schwachsinns namen. nur weil der intellektuelle penner seines zeichens vater auf altdeutsches steht. gut, dass ich nicht in seiner klasse bin. altdeutsches. ludwig. ich fass es nicht. wahrscheinlich war er mit seinen lehrerkumpels saufen, als ich das lausige licht der welt erblicken durfte, oder er hat zu der zeit irgendeine ludovica unter sich gehabt, während mütterchen mich vor die gebärmutterwand stellte, du kannst dich entscheiden, leben oder tod, hat sie geschrieen, dann hat sie mich doch ins fröhliche leben gepresst. dieser scheiß typ. ich möchte nicht wissen, wie oft er’s mit anderen weibern getrieben hat. aber sein holdes weib ist auch nicht von traurigen stämmen, knutscht die doch glatt mit diesem bernd rum und lacht mich auch noch an dabei, als ich zur tür rein komm. und sowas nennt sich dann pädagoge und therapeutin. schönes paar. meine eltern.
Und am Wochenende gehen wir mit den Jungs ’ne Runde Türken kloppen. Bist du dabei?!
Weiß noch nicht.
Was heißt da, weiß noch nicht?!
Muß eben mal schauen.
Und was soll ich den Jungs sagen? Dass du mit ’ner Schürze in der Küche stehst, um Milchreis für die Familie zu kochen? Mann, Luggi, was ist eigentlich los mit dir in letzter Zeit?! Du warst doch früher immer Feuer und Flamme für allen Scheiß.
Erklär mir doch mal, was dir das bringt.
Was bringt?
Das Gekloppe und der ganze Rest.
Rein sexuell oder auch intellektuell?
Na, sexuell ist ja eh klar, wenn man nix in der Hose hat, muss man sich eben kloppen.
He, pass auf, was du sagst. Ich zeig dir gleich mal, wo der Hammer hängt. Muss eh schon wieder pissen, das scheiß Bier treibt.
Und was bringt’s dir jetzt?
Also gut, pass mal auf. Eigentlich bist du ja nicht blöd, oder? Was glaubst du, wie das so weiter geht in unserem Viertel?
Weiß nicht, was du meinst.
Mittlerweile leben bei uns in den paar Straßen an die fünfzig Nationalitäten. Kann man sich gar nicht vorstellen. Und davon sind bestimmt achtzig Prozent Kanaken, die mir mit ihrem Kauderwelsch und mit ihrem türkischen oder arabischen Blaster-Gedudel sowas von auf den Sack gehen. Und der Gestank, der manchmal aus den Wohnungen kommt, wenn die Kochen… Weißt du, ich mach mir nichts aus den Parteifritzen, die aufgeblasen taktisch rumfaseln: man wolle die große kulturelle und geistige Tradition der deutschen Nation in Ehren halten und so die politische Emanzipation Deutschlands und Europas und die Bewahrung der Identität und der Freiheit der Völker der Welt erreichen. Das ist Hühnerkacke. Ich will einen Job haben, wenn ich mit der Schule fertig bin, und zwar bevor einer von den arabischen Freaks mir den unter den Händen wegstiehlt. Und dafür will ich vorsorgen. Das ist unser Viertel, Luggi, meine Familie lebt da schon seit ewigen Zeiten, meine Großeltern, meine Eltern, ich und meine Geschwister. Und ich will da nicht weg, will genau da irgendwann mit eigener Familie leben, und dazu muss ich eben sicher gehen, dass meine Kinder nicht zufällig mal in die Luft fliegen und dass sie noch die deutsche Sprache hören können, wenn sie mal aus dem Fenster schauen. Wenn da wenigstens ein paar Saufkumpels über uns sich die Bundesliga reinziehen würden, mit Handkuss würd’ich deren Gegröle begrüßen. Aber dieses Kanakengezetere und das Gebetsgedöns jeden Tag, da geht mir das Messer auf. He, funzel mir mit der Lampe nicht so ins Gesicht. Aber ich geh jetzt eh mal pissen.

scheiße sieht er aus mit der glatze. bei dieser kälte ohne mütze. harter typ eben. und die klamotten, ich weiß nicht. wenigstens halten die fetten stiefel warm. mit den klamotten kommst du mir nicht ins haus: ich kapier deren denke nicht, als könnten die mir vorschreiben, wie ich mich zu kleiden habe. das entscheide immer noch ich. und ich entscheide auch, dass die haare bleiben. bin schließlich kein skin. oder doch? was zählt mehr: hesse lesen oder türken kloppen? und warum nicht ein hesselesender türkenklopper? eigentlich hab ich keinen bock mehr, anderen auf die fresse zu hauen, und so ein nettes eigenes veilchen zieht bei den mädels auch nicht mehr, die sind nicht so blöd wie wir. wir, die jungs, die die straßen sauber halten, dass ich nicht lache… aber hallo, das gibt’s ja nicht, was ist das denn: da trippelt doch tatsächlich eine ente in den wald herein. Hey, ich dachte, ihr schlaft um die Zeit. und überhaupt, hier gibt’s doch weit und breit kein gewässer, und sau kalt ist es zudem. Betreibt ihr denn keinen Winterschlaf?! schau sie dir an, da ziert sie sich. Na komm doch mal näher, Kleine. Mein alter Freund ist da hinten noch am Pissen, ist also noch keine Sorge angebracht. Nee, ich hab dir auch nix zu essen. Würstchen aus der Dose ist sicher nicht das, was du dir unter einem guten Mahl so vorstellst. Ich übrigens auch nicht. Also, wirklich ängstlich bist du ja nicht, oder brauchst du Hilfe? Musst du nur irgendwie rüberbringen, dreimaliger Flügelschlag oder mach einfach auf tote Ente, dann weiß ich bescheid… okay, dann eben nicht. setzt sich da einfach neben den baumstumpf von benno. Ich glaub, das ist keine gute Idee, so langsam solltest du dich auch wieder vom Acker oder besser vom Waldboden machen. Wenn Benno zurückkommt, könnte der noch auf die Idee kommen, aus dir einen saftigen Braten zu machen. Also ab mit dir, ssscchhhh, geh mal wieder zu deinesgleichen, heh, du sollst das Stöckchen nicht fangen, bist doch kein oller Köter. Und wenn du dich verlaufen hast, dann wart am Waldrand auf mich, ich schau nacher nochmal nach dir… tz, ’ne ente, das glaub ich nicht… da fällt mir doch dieser holden ein, als der gerade des nächtens nach greenwich im taxi unterwegs ist und dem fahrer auf den senkel geht mit seiner fragerei, wo denn die enten aus dem central park im winter bleiben. und diese ausrede später: operation am klavichord, klasse, nur weil er als junger laie sich nicht traut, die hure zu vögeln. operation am klavichord, könnte direkt von mir stammen… du hast eine richtig geile interpretation über den fänger im roggen abgeliefert… mannomann, der weber. ich kann ihn ja irgendwie leiden, den weber, aber dass er sich die bescheurten worte seiner schüler zu eigen macht, ist doch voll daneben. deine noten sind ja wie immer top, aber weißt du, sagt er dann noch, ich mach mir sorgen um dich. sollten sie nicht, sag ich, ist nur die spätpubertät… wahrscheinlich ist es auch puber, hier zu sitzen und zu warten, bis wir auf diesen dämlichen friedhof können. wäre ich jetzt holden, wäre diese tatsache ein anlass, über meine eigene beerdigung nachzudenken… sag mal, wie lange pisst der eigentlich?! womöglich ist er am baumstamm lehnend eingepennt, oder ist abgehauen. es ist plötzlich über ihn gekommen, dass es eine schandtat sein wird, mit der er nicht wird leben können. okay, aber in dem falle würden wir hier nicht über ein und denselben benno reden. vielleicht sollte ich mal drüber nachdenken, ob ich das hier eigentlich gut heißen soll. aber denken ist scheiße, führt zu rechtfertigungen, oder ich muss stellung beziehen, in frage stellen und vielleicht sogar die freundschaft kündigen. nee, das bring ich nicht. nicht benno. dieser arsch ist mein einzig wirklicher freund. was haben wir nicht alles erlebt seit dem sandkasten?! aber er sieht trotzdem scheiße aus mit der glatze. He, Alter, wo warst du denn so lange?!
Jetzt halt mal an dich mit der Taschenlampe, ich will nicht morgen im Knast sitzen müssen, nur weil du im Dunkeln Schiß hast.
Man wird doch noch ungestraft auf eine so blöde Idee kommen dürfen und sich in kalten Winternächten im Wald aufhalten, survivalmäßig. Zwei einfältige Jungs, die eben mal die wahsninns Mutprobe absolvieren.
Auch wieder wahr, aber trotzdem müssen wir die Aktion ja nicht in den Sand setzen, nur weil irgend so ein Hirsch wegen nächtlicher Ruhestörung die Bullen ruft.
Ich find’s ja immer noch bescheuert, hier die Nacht zu verbringen, hätten doch gleich erst am frühen Morgen hierher kommen können.
Um dich dann beim öffentlichen Morgenjogging allen Frühaufstehern zu präsentieren, oder was? Wie doof bist du denn eigentlich?! Und jetzt glaub mir einfach mal, dass ich die Lage schon ausreichend gecheckt habe: die beste Zeit dafür ist zwischen neun und zehn am Morgen, da kommt bei der Kälte normalerweise kein Schwein, vielleicht auch schon früher, wir werden sehen. Nachts kann immer wieder mal ne Streife vorbeischauen, die denken halt, wenn, dann kommen die Typen nachts, tagsüber traut sich das niemand. Doch wir sind eben nicht niemand.
Wenn du dich da mal nicht täuscht.
Dann können wir immer noch abbrechen.
Ich meinte eigentlich, dass wir nicht niemand sind.
Och nee, bitte keine philosophischen Anwandlungen um die Zeit.
klar, das ist dir zu hoch, mein freund. wann haben wir uns jemals zusammen über anderes unterhalten, als über irgendwelche games, über mädels, schweinskrams, türkengangs und fußball. was, wenn wir wirklich niemand sind, wenn es uns gar nicht gibt. wer will das schon bestätigen. vielleicht sind wir nur spielball von irgendwelchen abgefahrenen scifi-geschichten, vielleicht produziert auch diese ente, die da gar nicht hingehört, in ihrem kleinen hirn die vision, sie müsse mal was anderes sehen als nur bäume und kreiert kurzerhand zwei seltsame gestalten, die biertrinkend und würstchen aus der dose essend bei minusgraden auf baumstümpfen im wald sitzen und irgendwelchen scheiß labern, den sie eh nicht versteht und die beiden typen auch nicht. verstehe ich benno eigentlich? eigentlich hab ich keine ahnung, was in diesem wurm vor sich geht, weiß ja nicht mal, was ich von mir halten soll. hab mal gelesen, dass selbst in engsten beziehungen man nur zwei prozent vom anderen wirklich kennt. wahnsinn. man stelle sich das mal vor, da lebt man ein leben lang zusammen, denkt man liebt sich und kennt sich und doch weiß man so gut wie nichts voneinander.
Mensch, ich hoffe, dass die Spraydosen bei der Kälte nicht ihren Geist aufgeben. He, nicht so laut schütteln, Luggi, das hallt ja bis zur Stadt runter.
Ach komm, das bekommen wenn überhaupt vielleicht ein paar Rehe oder Hasen mit. Oder Enten.
Enten? Hier gibt’s doch weit und breit keine Enten.
Glaubst du.
Never.
okay, auch egal. so ist man eben überzeugt von tatsachen, die keine sind. so schnell ist man schief gewickelt und verirrt sich gnadenlos.
Jetzt hör doch mal auf, das ist zu laut!
Was rennst du denn hier rum wie angestochen? Geht dir langsam die Muffe?
Quatsch, bei der Kälte muss man sich einfach bewegen, mir friert gleich der Arsch ab.
irgendwie ist er ja schon knuffig, dieser möchtergernmacho. wenn er mal kurz verlegen ist, taucht da doch noch mein alter spielgefährte auf: dieses rotbäckige geglotze in die runde, als die kleine angelika ihm eine scheuert, nachdem er ihr mit dem blasrohr eine auf den arsch gepfiffen hat. ansonsten hat er sich ziemlich verändert. ruft mich zwar immer noch jeden tag an, aber irgendwie sagt er mir nichts mehr. redet nur noch von unseren jungs. hat er jemals gefragt, ob ich mich in deren gegenwart wohlfühle? mit dem fahnengetue, den diffusen reden, strammstehen, als stünden wir kurz vorm krieg…
Warum eigentlich die Nazis? Warum nicht die Hells Angels? Oder einfach die Hooligans? Oder warum nicht die Autonomen? Greenpeace?
Greenpeace! Sonst ist alles aber noch am rechten Ort bei dir. Soll ich vielleicht mit Blümchen im Haar auf hoher See auf irgendeinem traurigen Wal dahinreiten?!
Zum Beispiel. Und dich aufspießen lassen von bösen Harpunen. Nee, aber jetzt sag doch mal…
Mann, du willst es aber heut wissen. Normalerweise schrumpft bei so einer Kälte doch das Hirn zu einem unbeweglichen Klumpen zusammen. Aber du warst ja schon immer etwas anders.
Mal kurz im Ernst. Warum die Nazis?
Warum bist du denn dabei?
Ich bin nicht dabei, ich dackel dir hinterher, wie ich es eigentlich fast immer getan hab. Nur früher waren deine Wege meistens auch meine, das hat einfach gepasst.
Und jetzt ist das nicht mehr so?!
Nee, nicht wirklich.
Aha.
Ja, so sieht’s aus.
Und was heißt das jetzt?
Erstmal noch gar nichts. Will einfach nur von dir wissen, warum es die Nazis sein müssen?
Ganz schön hartnäckig, der Kleine. Hartnäckigkeit ist doch schon mal eine gute Eigenschaft. Aber mal ehrlich, da hab ich jetzt keinen Bock drauf. Es ist kalt, es wird bald hell und ich muss mich langsam seelisch und moralisch auf unsere Aktion vorbereiten. Vielleicht solltest du einfach mal mit zu den Vorträgen und Diskussionsabenden kommen und dich mit der Schaffung eines vernünftigen Volkskörpers auseinandersetzen, das schafft klare Strukturen im Hirn, nur so bringen wir unser marodes Land wieder auf Vordermann. Mann, was glaubst du denn, warum unsere Wirtschaft den Bach runter geht: nur wegen den scheiß Amis und den Kanaken, die hier den Rahm abschöpfen wollen und noch nicht mal die deutsche Sprache beherrschen, und außerdem bekomm ich jetzt langsam Frühstückskohldampf. Haben wir noch was zu futtern im Rucksack?
Würstchen aus der Dose.
Na klasse.
da drückt er sich wieder, windet sich aalig vor sich hin. volkskörper. der hat sie doch nicht mehr alle. feuerwerkskörper… knalltüte… sprengsatz… lunte auspissen bevor sie körper zerfetzt. körper… haut, nahsein… helena. helena. mann, hat die augen. da sackt der ständer im staunen darnieder. ich weiß nicht, hab ich jemals schon einen ganzen satz in ihre richtung rausgekriegt seit sie in unserer klasse ist? ich dachte immer, griechinnen stehen auf machos, aber helena ist anders. schenkt diesen typen keinen einzigen ihrer unglaublichen blicke. und hört nicht aguilera oder whinehouse, was die mädels sonst so hören, sondern fauré. musste ich erstmal googeln, und dann fand ich ihn, den gabriel. sie war da mit lisa an der mauer gelehnt, wie zufällig stand ich da, fast dabei aber doch in gebührendem abstand. was hörst du, fragt lisa, foree, sagt helena. seitdem tanzt sie für mich zu palléas und mélisande irgendwo jenseits der wolken. wenn das benno wüsste, der würd mich glatt einliefern. wo ist der typ denn schon wieder, was schnieft denn eigentlich da so durch die dunkle gegend. flennt da nicht wer?
Benno?!

Lampe aus!
das gibt’s jetzt aber nicht. ich glaub, jetzt hat’s ihn erwischt: da steht unser benno am baum, umarmt ihn und flennt tatsächlich. Sag mal, heulst du?!
Lampe aus, hab ich gesagt!
Ist ja gut. Alles okay mit dir?!

Jetzt setz dich wieder und komm mal zur Ruhe, sonst wird das nix mit unserer Aktion. von der ich eh nicht überzeugt bin. Sag mal, hast du sowas öfter?!
Ich weiß nicht, manchmal überkommt’s mich in letzter Zeit einfach, wenn ich draußen bin. Es überwältigt mich dann der Gedanke, wie schön doch unser Land ist. Und dann muss ich einfach die Bäume umarmen, wie eben diese Eiche.
Ist eine Buche.
Was?
Das ist eine Buche, keine Eiche.
Auch egal, immer noch besser als irgend so ein türkischer Olivenbaum. Und dass ich jetzt geflennt hab’, das bleibt unter uns, Alter, klar?!
Klar.
Kommt sicher auch von durchwachter Nacht.
Klar.
Und zuviel kaltem Sauerstoff.
Sowieso.
wahnsinn. das gibt’s also auch. dafür scheint ja so eine bescheuerte idee wiederum gut zu sein, es tun sich ganz neue erfahrungen auf: steht da dieser junge bär mit glatzkopf in seiner fliegerjacke und in springerstiefeln und umarmt in tränen aufgelöst einen baum. würd’ ich tagebuch schreiben, wäre dieses ereignis rot umrahmt, und zwar richtig fett.
He, Benno, es wird gleich hell. Ich geh vor zur Lichtung und spähe mal ein wenig. Kann ich dich denn in diesem pathetischen Zustand alleine lassen?
Hau schon ab! Aber sei vorsichtig!
vorsicht ist die mutter der porzellankiste. geiler spruch. als wären mütter vorsichtig, naja, eher schon mal in der kiste, mit wem auch immer. und zu benno passt ja eher der elefant… da schau mal an, es wird tatsächlich langsam hell, wird aber auch zeit. mein hirn wird langsam etwas spröde. wobei das schauen ja umso schärfer scheint. irre dieses erste noch jungfräuliche licht, wie der wald langsam kontur bekommt. aua… scheiße, oh mann, von wegen schärfer… das gibt ’ne beule! ein geschwollener zeitzeuge einer fragwürdigen tat von zwei spätp
ubertären burschen mit tendenz zum mannsein. wahrscheinlich können wir gar nicht strafrechtlich herangezogen werden wegen übermäßig geistiger umnachtung. dabei müsste ich einfach nur mal das denken anfangen. viel zeit bleibt nicht mehr. aber ich hasse konsequenzen… so, ente, dann lass mal schauen, ob du dein plätzchen im morgen am waldrand gefunden hast. nee, keine ente weit und breit. wohl das warme öfchen im heimischen nest wiedergefunden. wahnsinn. ist das schön. was für ein blick über die stadt. und dieses abgefahrene licht. da erstarrt sogar die kälte vor ehrfurcht… ob das nicht reichen könnte? sich immer wieder solche momente reinziehen, einfach nur schauen, auf diesem kalten, harten boden sitzend oder im sommer eben im gras und der himmel malt dir eins? was will man mehr. nichts muss man beweisen, nichts muss man lernen und auch nichts finden, weil suchen auch von gestern ist. nur schauen und hören. und dann hallt plötzlich etwas wider, so wie jetzt, als käme es von hinter der stadt oder von über dem wald, dieses roggenfeld, das an einer steilen klippe liegt… fangen spielen… derjenige sein, der die unvorsichtigen kinder vor dem sturz in den abgrund bewahrt, vor dem sturz in dieses elende erwachsensein. ich hab keinen bock drauf, verantwortung zu übernehmen, für was denn? für deine dir eigene, für dich passende lebensgestaltung. ja, weberchen, bis jetzt ist das leben nicht so wirklich meins und die menschen darin auch nicht. du meinst, was nicht ist, kann ja noch werden. jaja, vieles kann werden, sogar dass ich in eiseskälte zum sonnenaufgang am waldrand sitze und der friedhof mich von da drüben anschaut, als wollte er mir sagen, dass dieses sitzen schon okay so ist, wenn nicht dieses danach noch kommen würde.
Hier, Luggi, dein Rucksack.
Hast du die Zelte schon abgebrochen dadrin und die Spuren verwischt, damit uns Chingachgook nicht erwischt?
Witz geschissen, soll ich dir beim Abputzen helfen?
Oder soll ich lieber sagen: der Ami?!
Das versteh’ jetzt wer will.
Na, war es nicht der Ami, der dem Nazi eins auf’s Auge gegeben hat, damals, als die Deutschen noch hehre Ziele verfolgten?
Verarschen kann ich mich alleine. Ich glaube, du solltest dir wirklich mal überlegen, ob du nicht aussteigen willst bei uns, sonst wird die Luft irgendwann etwas dünn für dich.
Was immer das heißen soll.
Wirst du dann schon sehen… sag mal, was macht den die Alte da drüben so früh?! Steht die da schon lange?
Was denn für eine Alte?
Na, die, die da drüben an den Friedhofsmauern lehnt und blöd durch die Gegend glotzt. Und sowas nennt sich Späher, wohl eher Penner.
Alt scheint die ja nicht zu sein, schade, dass wir kein Fernglas dabei haben.
Triebhafte Anwandlungen können wir bei unserer Mission nicht gebrauchen, also halt an dich, Kleiner.
Mission! Ich glaub’, du hast da drin zuviele Bäume umarmt.
Aber das da unten ist bestimmt ’ne Alte, so langsam wie die den Berg hochkriecht.
Das geht ja zu wie auf’m Bahnhof hier, und die Sonne ist noch nicht mal richtig aufgegangen.
Sag ich doch, früh am Morgen kommen so einige hier hoch, zum Friedhof oder auch einfach nur so. Und wenn dann der letzte Hundegassiführer zur Arbeit muss, ist dann auch mal Ruhe hier. Aber die Alte kenn ich, die hab ich bei meinen Beobachtungen schon ein paar Mal hier so früh gesehen. Die bleibt nicht lange. Und die Tuss geht auch schon wieder, siehst du.
Und der Typ da unten?
Weiß nicht, ist noch zu weit weg. Aber jetzt mach dir mal nicht in die Hose, ein Weilchen müssen wir schon noch warten.
Ich weiß gar nicht, ob ich noch warten will.
Willst du etwa jetzt da rüber gehen, ein wenig deine Spraydosen schütteln: hallo zusammen, wir wollen nur mal kurz ein paar Grabsteine besprühen, Sie werden doch nichts dagegen haben?! Sonst ist aber alles gut bei dir?
Nee, anders rum: vielleicht brech’ ich den ganzen Scheiß jetzt ab, trabe nach Hause und hau mich in die Koje.
Das ist jetzt nicht dein Ernst. Du kannst mich doch jetzt auf der Zielgeraden nicht hängen lassen.
Hast du denn schon mal was von Totenruhe gehört?!
Och nee, komm hör auf jetzt.
Vielleicht bringt das ja Unglück, vielleicht rotten sich die Geister dann zusammen und irgendwann bekommen wir ein’s über die Rübe.
Du hast sie doch nicht mehr alle. Geister! Da tummeln sich vielleicht ein paar vergammelte Judenseelchen, aber das war’s dann auch schon. Und ihre Kameraden im Diesseits da unten an der Flennmauer warten doch nur darauf, bis sie den nächsten Angriff starten oder die Bombe auf die Perser werfen können. Na, von mir aus sollen die sich nur gegenseitig kaputt kloppen da unten. Man sollte eine Glocke über diese Irren stülpen und in ein paar Jahrzehnten mal wieder drunter schauen… und die paar, die dann noch übrig sind, kriegen wir dann schon noch in unser Weltgefüge eingebunden. Aber du zickst jetzt nicht weiter rum, wir hocken doch schon die ganze Nacht hier! Und fast ein ganzes Leben haben wir alles Mögliche zusammen erlebt, also bringen wir das jetzt auch gemeinsam über die Bühne!
ich weiß nicht. ich bin wirklich kurz davor, zu gehen. hab ich die hosen voll, jetzt, wo’s gleich losgeht? nee, das ist es nicht.  ich weiß einfach nicht, ob’s diese aktion bringt. und was sie letztlich rüberbringen soll. für mich. für benno und die jungs ist das anscheinend klar. aber soll dieses doofe gespraye auf diesem friedhof tatsächlich zu meinem zukünftigen lebenslauf gehören? ich glaub fast, ich wär’ jetzt lieber dieser typ da drüben, der da in aller seelenruhe auf den friedhofsmauern sitzt und den raubvögeln bei der morgendlichen flugschau zuglotzt.
Weißt du noch, Luggi, ich weiß gar nicht, warum ich jetzt darauf komme, vielleicht wegen den geilen Wolken da oben, weißt du noch, als wir vor deinen Eltern ausgebüchst sind? Die wollten mal wieder ihre obligatorische Sonntagswanderung durchziehen und wir hatten absolut keinen Bock da drauf. Dann sind wir einfach abgehauen…
… und haben uns auf’s Garagendach verzogen.
Genau. Deine Alten haben noch 10 Minuten nach uns gerufen und sind dann alleine abgedackelt. Wie alt waren wir da?
Zwölf, schätz ich mal.
Ja, ist schon ein paar Jährchen her. Dann lagen wir da ewig auf dem Rücken, damit uns keiner sieht, haben uns die Sonne auf den Pelz brennen lassen und eine Fluppe nach der anderen geraucht.
Wir haben in den Himmel gestarrt und irgendwann hast du gesagt: mann, wär’ das geil, wenn man die Wolken mit dem Stick steuern könnte.
Und du hast gesagt: nee, sowas Abgefahrenes kann man nicht steuern. Du warst halt damals schon ein wenig neben der Spur.
Nur damals haben wir’s noch nicht bemerkt.
Was nicht bemerkt?
dass jeder von uns auf einer anderen wolke durchs leben ziehen wird, lieber benno… Ach, vergiss es.
Wenn du meinst… ah, sieh an, der Typ zieht endlich Leine, wird aber auch Zeit. Dachte schon, der ist festgewachsen da auf der Mauer. Und sonst kein Mensch mehr in Sicht. Ich glaube, unsere Zeit ist langsam gekommen. Luggi?! Alles klar?! Lass uns aufbrechen. Jetzt oder nie.
ja, sieht wohl so aus, jetzt oder nie…

© Matthias Wagner

Widerhall.jpg
bottom of page