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Jetzt, da Ursula Krechel den Georg-Büchner-Preis zugesprochen bekommen hat, dachte ich, okay, nun ist's an der Zeit mich mal dieser Frau zu widmen. Wollte schon lange den ersten Roman Shanghai fern von wo ihrer "Trilogie" lesen, allesamt Bücher, die sich intensiv mit Exil, Flucht, Verdrängung und Gerechtigkeit in Erinnerung an die Gefühllosigkeit der Nachkriegsgesellschaft auseinandersetzen.

Ich hab mich zu Beginn schwer getan, in dieses von ihr in ganz eigenem literarischen Stil zusammengeflochtene Werk einzutauchen. Irgendwann aber war ich drin und ihr Schreiben über diese mir fremde Zeit und Welt eines Exils in Shanghai (seit Beginn des Zweiten Weltkrieges bis zu seinem Ende und weitere Jahre darüber hinaus) hat mich gefesselt, berührt und auch angestrengt ob dieses schweren und teilweise grausamen Daseins dort fern von wo. Und ich bin beeindruckt von all diesem Wissen, das sich Krechel mit intensiven Recherchen über Jahrzehnte angeeignet hat und wie sie dieses in ihrer besonderen Sprache formt. Jedes Wort scheint sorgfältig gewählt, jeder Satz trägt Bedeutung. Sie verzichtet auf unnötige Ausschmückungen, aber ihre Sprache ist alles andere als karg. Stattdessen schafft sie es, mit wenigen Worten Stimmungen und Bilder zu kreieren, die mich tief in die Geschichte hineingezogen haben. Letztlich war ich froh, als ich zum Ende kam, da nur selten ein Aufatmen in ein wenig leichtes Freisein hinein möglich ist.

Drum freue ich mich nun auf das leichte, glückliche Geheimnis von Arno Geiger, das da winkend im Warteregal steht.

 
  • 26. Aug.

Manchmal ist es so, dass in einem Buch Spuren gelegt werden zu einem nächsten. Dass man aufhorcht und Namen aufgreift, nach den dazugehörigen Menschen sucht, sich über Verbindungen wundert. Und dann gibt es nur einen Weg: den zum vorgezeichneten Buch. Von einem Buch zum anderen, von einem Menschen zum anderen, von einer Lebensgeschichte zur anderen und man entdeckt die Verwobenheit inmitten des Laufs der Dinge, der Geschehnisse dieses Weltendaseins.

Klar: wenn man Ingeborg Bachmann liest kommt man nicht umhin, sich mit Max Frisch zu beschäftigen. Wenn man sich mit Frisch beschäftigt, erinnert man sich in seinen Briefwechseln mit Uwe Johnson an eben den. Und in dessen Jahrhundertwerk Jahrestage entdeckt man die Verbindung zu Hannah Arendt und in der Annäherung an sie findet man sich in dieser getriebenen, schreckenshaften Zeit 1940 in Marseille wieder, liest gebannt im Werk von Uwe Wittstock und muss wieder dem einen und anderen Namen folgen und lesen, was sie geschrieben haben: Lisa Fittko, Anna Seghers - und irgendwann denkt man sich: und das nur, weil man vor Monaten ein Gedicht von Ingeborg Bachmann gelesen hat. Und in Gedanken an sie taucht plötzlich auch die Gruppe 47 auf und darin Günter Grass und man erinnert sich, dass irgendwo in einem Regal sein Mein Jahrhundert steht und all die Zeit umspannend beginnt man noch einmal darin zu lesen, nebenbei blättert man in der großen Chronik des 20. Jahrhunderts.


Irgendwann braucht man wieder Abstand zu diesem Viel an Vergangenheit und liest sich hinein in die Umlaufbahnen, um losgelöst und schwerelos über den Verflechtungen dieser Welt zu schweben...

 

Noch bin ich im Wirkkreis von Uwe Johnson zugange, habe gerade den Briefwechsel zwischen ihm und Hannah Arendt fertig gelesen, der in dieser wertvollen Suhrkamp-Ausgabe nur die Hälfte des Buches ausmacht; auf den weiteren Seiten werden unter anderem Johnsons Typoskript "Beschreibung der Upper West Side" veröffentlicht, das er Hannah Arendt als Geschenk nach New York schickte, und auch die Druckfassung der Rede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1971 - auch diese lässt er in einer kommentierten Originalfassung Arendt zukommen.

Da ich Johnson nur von einigen Bildern kenne, recherchiere ich heute an diesem verhangenen Aprilmorgen nach einer Filmaufnahme dieser Rede und sehr schnell und naheliegend befinde ich mich zum ersten Mal auf der Büchner-Preis-Webseite (warum eigentlich erst jetzt? Alles zu seiner Zeit...), die mich in ihrer kreativen Gestaltungsform gleich anspricht und so krame ich mich durch all die Jahre und all die dazugehörigen Preisträger. Es gibt hier keine bewegten Bilder von Uwe Johnson, doch es gibt kurze Audioauszüge seiner Rede. Seine Stimme ist mir fremd, man müsste sich mit ihr vertraut machen, wie eben seinem besonderen literarischen Schreiben auch.


Ich erinnere mich an einen Artikel in der TAZ vor vielen Jahren über den Büchner-Preis, ich finde ihn wieder: am 29.10.2011 schreibt Angela Leinen:

... Andere Preise sind bescheidener. Beim Bachmannpreis in Klagenfurt wird nur ein Schimmer Morgenröte gesucht: der beste Text aus drei Vorlesetagen, vielleicht wird mal ein schönes Buch draus. Der Deutsche Buchpreis verbreitet Hoffnung auf lesbare deutsche Romane und ruft den Lesern zu: Seht her, es gibt ein Lesen außerhalb von "Wanderhure" und "Schlank im Schlaf"!

Der Georg-Büchner-Preis aber ist ein scheißender Teufel auf der Suche nach dem größten Haufen. Der durchschnittliche Büchnerpreisträger ist zwischen 50 und 70 Jahre alt, meist männlich und hat schon acht bis zwölf andere Literaturpreise gewonnen. Mit dem Büchnerpreis wird bereits zementierte Bedeutung zementiert. ...

Ich schaue mir nochmals die Preisträger seit 2011 an und es ist, als hätte die Jury zusammen mit dem sich wandelnden Zeitgeist sich diesen Artikel in den folgenden Jahren bis heute zu Herzen genommen: jünger sind sie geworden, die Preisträger, und weiblicher, und wie immer viele begleitet von all dem Treiben fürsprechender und kritisch ablehnender Stimmen.


Nun aber werde ich mich aus dem Vergangenen lösen und dem Hier und Jetzt widmen und eine trockene Phase (viel zu kurz sind die verregneten) nutzen, um durch die Wälder zu streifen.

 

Autor von Hirnstromern

Matthias Wagner

menschliche würde orthopädie des aufrechten gangs also kein gekrümmter rücken vor königsthronen nimm deine füße unter die arme und lauf cry baby nur der frieden ist es mein sohn wofür wir leben die beherrschung der natur ist gekoppelt an die verinnerlichte gewalt des menschen über den menschen gekoppelt an die gewalt des subjekts über seine eigene natur you can go all around the world trying to find something to do with your life baby when you only gotta do one thing well

Aus Wolkenbruch

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