Verzeichnis einiger Verluste
- Matthias
- 29. Nov. 2020
- 1 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Nov. 2024

Vor einigen Wochen hatte ich in einem kurzen TV-Bericht Judith Schalansky kennengelernt und gleich darauf zwei ihrer wunderbaren, auch gestaltungs-schönen Bücher erstanden: Atlas von abgelegenen Inseln und Verzeichnis einiger Verluste. Letzteres habe ich in diesen Tagen aufgeschlagen und bin schon auf den ersten Seiten nach Schalanskys Vorbemerkung und gebildetem, gedankentiefem Vorwort angetan und freudig gespannt auf diese vor mir liegenden Weltvergangenseins- und Abwesenheitsdaseinsfragmente. Auf der ersten Seite der Vorbemerkung führt sie mit Semikolons getrennte Beispiele von Vergehen und Verlusten auf: Während der Arbeit an diesem Buch verglühte die Raumsonde Cassini in der Atmosphäre des Saturns; ... starb die am Great Barrier Reef beheimatete Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte aus; ... Auf der zweiten Seite liest man von Entdeckungen und Sichtbarmachungen, die von vergangener Existenz zeugen: ... tauchten ein bis dato unbekannter Roman Walt Whitmans und das verschollene Album Both Directions At Once des Jazzsaxophonisten John Coltrane auf; ... gelang es, eine mit Packpapier verklebte Doppelseite aus dem Tagebuch Anne Franks wieder lesbar zu machen...
In den letzten Zeilen des Vorworts schreibt sie: Wie alle Bücher ist auch das vorliegende Buch von dem Begehren angetrieben, etwas überleben zu lassen, Vergangenes zu beschwören, Verstummtes zu Wort kommen zu lassen und Versäumtes zu betrauern. Nichts kann im Schreiben zurückgeholt, aber alles erfassbar werden. So handelt dieser Band gleichermaßen vom Suchen wie vom Finden, vom Verlieren wie vom Gewinnen und lässt erahnen, dass der Unterschied zwischen An- und Abwesenheit womöglich marginal ist, solange es die Erinnerung gibt.
Und für wenige kostbare Momente erschien mir während der langjährigen Arbeit an diesem Buch die Vorstellung, dass das Vergehen unvermeidlich ist, genauso tröstlich wie das Bild seiner in den Regalen verstaubenden Exemplare.



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