Suite francaise
- Matthias
- 5. Juni 2022
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Nov. 2024
Soeben das Buch Suite francaise von Irène Némirovsky beendet. Über Jahrzehnte lag dieses Werk verborgen in einem Koffer und erst dann wagte einer ihrer der Naziherrschaft entronnenen Töchter sich an all die Niederschriften und brachte es ans Licht der Öffentlichkeit. Im Nachwort schreibt Myriam Anissimov: Die Veröffentlichung der Suite francaise hat eine Geschichte, die in mehrerer Hinsicht einem Wunder gleichkommt und es verdient, erzählt zu werden (was sie in diesem Nachwort auch tut).Irènes Vorhaben war, während des zweiten Weltkrieges ein 1000seitiges Epos mit 5 längeren Episoden zu schreiben, in der sie anhand eines eindrücklichen, an die Realität angelehntem Panoramas die Befindlichkeiten eines besiegten und kollaborierenden Frankreichs betrachtet und damit ein Zeugnis dieser Zeit geben wollte. Die ersten beiden Episoden brachte sie zu einem Ende, bevor sie noch mit vielen gedanklichen und niedergeschriebenen Skizzen für die weiteren Teile am 16. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert wurde; dort starb sie am 17. August. Dieses hervorragende und eindrückliche Buch wird am Ende abgerundet durch Notizen von Irène über den Zustand Frankreichs in dieser Zeit und über die Entwicklung ihres Projekts Suite francaise, durch Niederschriften von Korrespondenzen 1936-1945 (während des Lesens von diesen hält man den Atem an, weil man weiß: die Deportierung von Irène rückt näher und näher; und durch diese Korrespondenzen wird wieder einmal erschreckend deutlich, wie verzweifelt Familienangehörige von deportierten Menschen in dieser Zeit um Information und Hilfestellungen rangen), und durch ein Nachwort, in dem auch das zu kurze Leben und literarische Schaffen von Irène Némirovsky beleuchtet wird. Geboren wird sie am 11. Februar 1903 in Kiew, in dem Teil, den man heute das Yiddishland nennt. Sie lebte mit ihrer Familie lange Jahre in St. Petersburg und Moskau, bis sie zur Zeit der Oktoberrevolution 1918 nach Finnland flohen, von wo aus sie ein Jahr später nach Paris weiterreisten. Am 11. Juli 1942 schreibt sie im Wald der Maie (oft zieht sie sich kilometerweit in die ruhige Natur zurück, um zu schreiben):Die Kiefern um mich herum. Ich sitze auf meinem blauen Sweater inmitten eines Meeres verfaulter, vom Gewitter der letzten Nacht durchweichter Blätter wie auf einem Floß, die Beine unter mir angewinkelt! Ich habe den 2. Band von Anna Karenina, die Zeitung von K. M. und eine Orange in meine Tasche gesteckt. Meine Freunde, die Hummeln, diese reizenden Insekten, scheinen mit sich zufrieden zu sein, und ihr Summen ist tief und ernst. Ich liebe die tiefen, ernsten Töne in den Stimmen und in der Natur. Das spitze «chirrup, chirrup» der kleinen Vögel in den Zweigen macht mich nervös... Nachher werde ich versuchen, den verlorenen See wiederzufinden.

Weil ich eingenommen bin von diesem Werk, von ihrem kurzen Leben und von der literarischen Gestaltungskraft von Irène Némirovsky habe ich mir einen weiteren Roman, eine ausführliche Biographie von ihr und eine französische Ausgabe von den autobiographischen Niederschriften ihrer Tochter Denise bestellt.
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