Das achte Leben
- Matthias
- 17. Juni 2015
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Nov. 2024

Was für ein Wälzer! Den zu lesen auf fast 1300 Seiten überraschend wenig Überwindungsaufwand kostet, ein Aufwand, der bei mir sonst beim Durchackern solch dicker Schinken vorherrscht oder mich gänzlich vom Lesen abhält. Das achte Leben aber hat mich von Beginn an bei sich behalten und ich wollte diese epische Geschichte rund um die nah ans eigene Lesehirn heranwachsenden Figuren eines jahrhundertalten, georgisch-russischen Gewebes bis zum Ende begleiten. Erstaunlich, wie gekonnt die 32-jährige Nino Haratischwili dieses gestaltet in seiner vielverzweigten Form und es doch immer am Kern des Wesentlichen entlang im Werdegang der Protagonisten zusammenhält. In diesen Geschichtsfluss eingetaucht, übersehe ich gern hin und wieder die Schwächen des Werkes: die sich durchziehende Diskrepanz zwischen dem Leb- und Leibhaftigen der Personen und den oft einer trockenen Chronik entliehen scheinenden Beschreibungen von zeitgeschichtlichen Tatbeständen; das vielleicht notwendige Pathos in manchen Phasen und die stellenweise spürbare Konstruiertheit, in der die Protagonisten sich zu wenig in die kaum zur Ruhe kommende, politisch bewegte Rahmengeschichte hineinverlieren dürfen; und in Wortkaskaden – die sich entfalten fast wie in einem dieser schon vergangenen, südamerikanischen Epen (Allende, Marquez) – hereinplatzend immer wieder Umgangssprachliches oder literarisch Fehlgriffiges: da strahlte eine voller Stolz um die Wette oder es taucht unvermittelt plötzlich das eine oder andere Wort vor Augen auf, das dem feinen Erzählsamt einen Riss zufügt: omnipräsent (um nur ein Beispielswort zu nennen). Man merkt, dass Nino Haratischwili noch nicht wirklich ein ausgewogen stilistisches Zuhause für eine noch suchende literarische Sprache gefunden hat.
Trotzdem: Das können nicht allzu viele: Hut ab vor dieser intensiven Werkumsetzung, vor diesem immensen Hineinarbeiten bis zu den jahrhunderttiefen Wurzeln ihres eigenen Daseins mit choreographischem Überblick für eine solch weitläufige Romanstruktur. Ich bin dem Lebens- und Leidensweg von Stasia, Christine, Kitty, Daria, Niza und Brilka und all ihren Männern bis zur letzten Seite aufmerksam und gespannt gefolgt.
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