

Hirnstromern

Wir haben es nicht gut gemacht
Ingeborg Bachmann und Max Frisch
Wir haben es nicht gut gemacht. Viele Menschen werden dies sagen müssen, wenn sie zurückblicken auf eine Ehe, auf eine Partnerschaft. Auch ich könnte diesen Satz nicht nur einmal verwenden im Rückblick, wenngleich diese Aussage das Gute ausschließt, ein Gutes, das in jeder Beziehung seinen Platz hat und vielleicht sogar einen Großteil des Zusammenseins ausmacht; doch das Ungute ist mächtig, vor allem wenn es an einem Ende steht, auch in Erinnerung oder gerade in dieser.
Als ich begann, diesen Briefwechsel zwischen Bachmann und Frisch zu lesen, gespannt auf diese angekündigte literaturwissenschaftliche Sensation, trug ich von Anfang an dieses Gefühl in mir, hier mit voyeuristischen Blicken etwas sehr Privatem beizuwohnen, zumal es vor allem von Bachmannscher Seite aus dringlichst gewünscht war, all diese Briefe im Verborgenen zu halten:
Ingeborg Bachmann an Max Frisch, Westberlin
24. Dezember 1963
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Ich hoffe nur noch, dass Dir, im Laufe der Zeit wenigstens, alles teuer genug geworden ist, was an schriftlichen Auesserungen da ist, um es zu verbrennen, damit niemand ein Schauspiel hat eines Tags, denn wir wissen ja nicht, wie lange wir im Besitz von Dingen bleiben, die dich und mich allein etwas angehen.
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Max Frisch an Ingeborg Bachmann, Rom
6. April 1964, Durchschlag
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Ich will alle meine Brief zurück haben, schreibst du. Diesen Wunsch werde ich dir nicht erfüllen. Deine Briefe gehören mir, so wie meine Briefe dir gehören. Wenn du dir eine Tortur daraus machst, dass du mir einen gemeinen Missbrauch mit deinen Briefen zutraust, kann ich dir nicht helfen. Du wirst dich damit begnügen müssen, dass ich jede Veröffentlichung von Briefen testamentarisch verboten habe, nicht jetzt, schon vor Jahren.
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Auszug aus dem den Briefen hinten angestellten Kommentar:
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Dass der Briefwechsel nun überhaupt erscheinen kann, ist angesichts der Art und Weise, wie darin über die Wahrung des Briefgeheimnisses verhandelt wird, erklärungsbedürftig, Bachmann schreibt einmal, sie wolle alles an schriftlichen Äußerungen, die nur sie beide etwas angingen, verbrannt wissen, »damit niemand ein Schauspiel hat eines Tags« (Brief 270). Dennoch haben die Erben Ingeborg Bachmanns fast 50 Jahre nach ihrem Tod der Veröffentlichung zugestimmt. Frisch seinerseits hat schon in einer »Letztwilligen Verfügung« vom 3. März 1960, in der er seine finanziellen und literarischen Hinterlassenschaften weitgehend Ingeborg Bachmann überträgt, festgelegt, dass von einer »Veröffentlichung privater Briefwechsel [...] abzusehen« sei (Brief 99). In einem weiteren Brief erklärt er, er habe »jede Veröffentlichung von Briefen testamentarisch verboten« (Brief 275). Später hat er jedoch sein Testament geändert. Die entscheidende Formulierung aus dem gültigen Testament vom 6. September 1985 lautet: »Alle früheren Verfügungen, die meine Unterschrift tragen, sind mit diesem Testament aufgehoben, ausgenommen die Urkunde zur Max Frisch-Stiftung.« In dieser Urkunde von 1979 heißt es in Art. 6, dass die »vom Stifter letztwillig verfügten Sperrfristen in Bezug auf die Verwertung von Briefen [...] vom Stiftungsrat einzuhalten [sind]«. Für eine Reihe von Briefwechseln, darunter namentlich derjenige mit Ingeborg Bachmann, betrug diese Sperrfrist 20 Jahre nach seinem Tod. Diese einzige Einschränkung ist seit 2011 abgelaufen.
Trotz den eigenen Vorbehalten, in das Lebens- und Liebesschauspiel von Bachmann und Frisch einzutreten, konnte ich mich nicht diesem Sog entziehen, der beim Lesen entstand, fast, als würde ich einen spannenden Roman nicht mehr aus den Händen legen wollen. Man kann sich jenseits des Aneinanderleidens weiden an so vielen literarischen und poetischen Gestaltungen, Hinterfragungen und Daseinsentdeckungen, an den Auflösungen, und sich freuen über die Einbettung all des Geschriebenen in das literarische Wissen über Bachmann und Frisch. Wie diese beiden Menschen sich über (Express)Briefe und Telegramme austauschen, sich lieben und streiten und ringen um Halt, Anerkennung, um Verstandenwerden und Verstehen - all dies ist mitreißend (auch aufgrund der literarischen Fähigkeiten beider, die auch einen solch privaten Briefwechsel durchdringen) und es ist letztlich erschütternd, wenn man um die zunehmende psychische Destabilisierung von Bachmann weiß, die sich während der Beziehung zu Frisch manifestiert hatte, wenn man überblicken kann, wie sehr sie gerungen haben mit einem rebellierenden Zeitgeist, mit den Anforderungen und eigenen Ansprüchen an ein schriftstellerisches Wirken und den Umgang mit Öffentlichkeit.
Und es ist erhellend bezüglich bisheriger literaturhistorischer Annahmen.
Auch wenn ich Frisch nicht zu Gute halte, dass er seine Briefe meist mit Durchschlag schrieb und sich sicherlich stets gewahr war, dass er deren Inhalte in sein literarisches Schaffen einfließen lassen wird, so wird durch diesen jahrelangen Briefwechsel doch deutlich, dass Frisch kein „Mörder" war, wie die Anhängerschaft von Bachmann bis in die Gegenwart hinein postulierte, dass er nicht der Alleinschuldige war an der Seelenentwicklung von ihr. Ja, Frisch war in seinem Wesen womöglich distanzierter, manches Mal überheblich kühl und vernunftorientiert, aber er war auch verzweifelt in der Ausgestaltung einer Liebe, in der Bachmann stets auf Achse war und sie in ihrem Widerstreit zwischen Freiheitswunsch und ergebener, ja phasenweise fast unterwürfigen Zuneigung verstrickt war.
Max Frisch an Ingeborg Bachmann, Uetikon
16. April 1959
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Wir sollten nicht zusammen wohnen, sagte ich, und es war ein Schock für Dich, Du schriebst, dass ich Dich nicht liebe, dass ich keine Liebe habe zu deinem Körper; Du fühlst dich verstossen, und in jedem Brief, fast in jedem, lese ich deine Bitterkeit darüber, indem Du dich unterwirfst wie eine Erniedrigte, dem Gedanken an getrennte Wohnungen unterwirfst, der dir im Grunde unannehmbar ist, sagst Du, und ich bin es, der das Unannehmbare fordert. Wäre es doch so! Ich könnte so leicht mir selbst nachgeben, Inge, statt allein in dieser Wohnung zu sitzen. Ich könnte anrufen Roma 56.30.39, die Nummer, die ich auswendig kenne: Komm, Liebste, ich bitte Dich, komm! Und es fragt sich, ob Du wirklich kämest; denn auch Du hast die Erfahrung gemacht, dass etwas nicht lebbar war, obschon wir uns liebten, so nicht, wie wir es versuchten, und ich liebe Dich noch und möchte einen Weg finden, der uns zusammen weiterführt. Hilf mir doch auch! indem Du verstehst durch deine Empörung und deine Bitterkeit hindurch.
...
Eine andere Art der in ihm begründeten Belastung war für Frisch sicherlich auch der Altersunterschied und die dabei aufkeimenden Minderwertigkeitsgefühle und Eifersucht, die mit dem Inhalt eines gemeinsam geschlossenen Vertrages, der unerhebliche Untreue erlaubt hatte, in stetiger innerer Auseinandersetzung waren.
Dieser Altersunterschied bewegt auch Bachmann in einem langen Brief im Sommer 1959:
Ingeborg Bachmann an Max Frisch, Rom
10. Juli 1959
...
Freitag nachts: Du hast dieses Wort aufgebracht von »Herr und Magd«, das mich zuerst verwundert hat, aber es ist etwas Richtiges dran, und seit ich alles hundertmal durchsuche in der vergangenen Zeit nach Fehlerquellen, glaube ich, diese eine gefunden zu haben. Freilich kann man sie kaum aus der Welt schaffen, denn sie hängt für mich mit dem Altersunterschied zusammen, mit dem sonst ja nichts zusammenhängt. So wie mein Verhalten jetzt, seit es um Alles geht, war es auch schon früher bei Kleinigkeiten; ich kann nur tun, was Du sagst, und nachher versuche ich, mich zu wehren, - und Du, genau so unbewusst, verhältst Dich zu mir, wie Du Dich niemals einer andren älteren Frau gegenüber verhalten würdest. Die Schreckgespenster, die kleinen, aus den vergangenen Monaten, waren für mich Deine »Tadel«, einmal als wir Besuch hatten und ich Dir zu langsam gegessen habe und wie ich ın der Küche weiteressen musste, wie als Kind vor vielen Jahren, abgekanzelt, und bei einem andern Besuch, als ich nicht weiterreden durfte. Ich sage es nicht, um das noch einmal aufzurühren, aber es steckt einiges Charakteristische drin.
Du bist auch gar nicht Schuld daran, denn ich bin sicher, dass Du Dir Madeleine gegenüber das niemals erlaubt hättest. Und Pierre oder Hans hätten sich das mir gegenüber nie erlaubt. Oder ich hätte sofort erwidert oder Teller zerschlagen, Bei Dir bleibt mir das Wort im Mund stecken, ich kann nicht reagieren, und Du stellst diese unselige Relation genau so her wie ich, denn Du machst Dich zum Herrn mir gegenüber, in allen Dingen, eben in jenen Kleinigkeiten und bis zu Bellagio und jetzt. Max, es ist so schwer zu erklären, aber ich habe nur ganz selten das Gefühl der Gleichberechtigung, der gleichen Stufen zwischen uns. Ich stehe von Anfang an etwas unter Dir oder hinter Dir, Du hast es bestimmt nicht gewollt und ich auch nicht, aber es bringt Dich dazu, mit mir zu reden manchmal wie zu einer Schülerin, bald liebevoll, bald tadelnd. Ich bin aber, wenn ich nicht bei Dir bin, auch erwachsen, einem Mann gewachsen und lasse mir, wie die Brechtmädchen sagen würden, »nichts gefallen«. (Das heisst, ich habe mir doch eine Menge gefallen lassen, aber nicht so, sondern anders, wie alle Menschen etwas aushalten müssen.)
Aber Max, woher soll die Gleichberechtigkeit bei uns kommen? Ich habe mich so gewundert, wenn Du erzählt hast, wie viel Widerstand und Kritik es in den Gesprächen in Thalwil von Seiten Madeleines gegeben hat. Ich war am Koptschütteln, weil ich mir das nicht vorstellen konnte, weil ich mir das nie erlauben würde (höchstens zu klagen und zu weinen, weil ich mich nicht halten kann neben Dir). Aber es ist mir jetzt ganz deutlich, dass es von den gleichen Altern kommt, dass Madeleine sich ganz natürlich etwas zu sagen traut, wozu ich keinen Mut hätte vor Dir. Denn es fehlt mir jede Möglichkeit, eine Position Dir gegenüber einzunehmen, die ich einem gleichaltrigen Mann gegenüber sofort und natürlich einnehme; ich setze mich gleich mit ihm und kann daher sehr viel sagen. Dich hingegen setze ich immer höher und dann wundre ich mich, wenn ich die Folgen zu spüren bekomme und finde es ungeheuerlich, was Du mit mir machst. Aber im Grund habe ich Dir das eingeräumt. Sonst wäre es auch nicht möglich, denn Du bist sicher kein Tyrann, ich habe ihn nur aufgeweckt in Dir.
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Aus Uetikon schreibt Max Frisch diesen langen Brief vom 16. Juli 1959 an Ingeborg Bachmann, und diese ausgiebige Antwort auf ihre verzweifelten Briefe aus Rom ist bemerkenswert, nicht nur der tiefgründigen, selbstkritischen Reflektionen wegen. In diesen langen Briefen zu jener Sommerzeit entdeckt man am besten das tragische gegenseitige Nichtfinden im sehnsüchtigen Beieinanderseinwollen und den wühlenden Hinterfragungen im fernen Auseinandersein, und man kommt dort den ureigenen Wesens- und Leidenszügen der Beiden sehr nahe.
Frisch war den Lebens- und Liebeszweifeln und schließlich der daraus entstehenden psychischen Erkrankung und der Tablettensucht von Bachmann nicht gewachsen und scheiterte, abgesehen von den auch in ihm tief angelegten Selbstzweifeln, daran, die nötige ausdauernde, begleitende Empathie für die Seelenlagen von Bachmann aufrecht zu erhalten.
Und Bachmann zerbrach letztlich auch an ihrer ganz eigenen Ambivalenz in einer Epoche des inneren und äußeren Umbruchs. Sie brauchte für ihr Schaffen einen in dieser Zeit für eine Frau noch ungewöhnlichen Raum nur für sich und sehnte sich doch gleichzeitig nach etwas “Ganzem" in Zweisamkeit:
Ingeborg Bachmann an Max Frisch, Rom
30. Juni 1959
…
Ich kann nur mehr arbeiten, wenn mir ein Tisch sicher ist, ein Raum, den mir niemand wegnehmen kann, ein Ort von dem mich niemand wegschicken kann. Seit Jahren packie ich Koffer, reise ab, komme wieder, reise wieder ab, auf Wunsch. Ich will nicht mehr und ich kann nicht mehr
…
Ingeborg Bachmann an Max Frisch, Rom
10. Juli 1959
…
Warum ich das heute schreibe, ohne rechten Zusammenhang mit dem ersten Teil des Briefes: weil ich mir denken könnte, dass diese falsche Abhängigkeit vielleicht wirklich zuende ginge, wenn wir getrennte Wohnungen hätten, wenn ich mein eigenes Leben hätte. Du würdest dann auch nicht mehr darunter leiden, würdest Dich anders zu mir verhalten, wenn Du bei mir nur zu Gast wärst. Du siehst, ich versuche mich mit Deinen Gedanken anzufreunden, auch ihre guten Seiten zu sehen. Es ist schwer für mich, weil ich so gerne etwas Ganzes möchte, etwas Kompromissloses mit Mann und Haus und Kind.
…
Und dieses Schaffen, ihr gänzlich eigenes Schreiben war in ihrer philosophischen Tiefe und dem hohen Anspruch stets ein Ringen um transzendierende Authenzitität. Sie hörte auf Gedichte zu schreiben in dem Moment, in dem sie spürte, dass sie dieses Metier zu gut beherrschte und so die Ursprünglichkeit eines Wortes, eines Satzes, die Reinheit, nur noch durch die Maskerade einer wertenden Erwartung und Erfüllung abgelöst werden konnte. Und gleichzeitig war da eben diese Ambivalenz, in der sie einerseits nach dieser Reinheit strebte und zugleich zerbrach an der Realität eines Daseins mit Drang zur Anerkennung und dem facettenreichen Gegenüber einer Liebe.
Sie wollte nie über den Krieg schreiben, denn das sei zu einfach, sagte sie, über den Krieg kann jeder schreiben, über das Schreckliche. Der Krieg sei nur die Explosion des Friedens, die aus dem Krieg des Friedens resultiere. Sie hat selten Frieden gefunden in sich - Faschismus beginne in der Beziehung zwischen Menschen, der Kern dazu liege in dem Wunsch, den anderen zu beherrschen. Ein Kriegsschauplatz im Frieden ist für Bachmann die Liebe, man sehne sich stets nach der absoluten Liebe, meinte sie, doch erreichen könne man sie nie. Dass wir es trotzdem immer wieder versuchen würden, sei der große Betrug, der die Menschen zueinander treibt.
ALLE TAGE
Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.
Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.
Er wird verliehen
für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.
Ingeborg Bachmann, 1952
Für den Versuch eines gemeinsamen Lebens und Liebens und die dazugehörige private Kommunikation kann man natürlich keine Bewertungssterne bzw. -lindentriebe verteilen.
Wollte man doch zahlreiche Bewertungssymbole vergeben, dann für diese gesamte Edition und deren akribische Zusammenführung all der Dokumente und den erhellenden angestellten Kommentaren und Vertiefungen durch die Herausgeber.
Zudem findet man in der näheren Beschreibung der Edition Informationen über die Nachlassordnung, Erklärungen über fehlendes Material und zur Textkonstitution.
Über fast 300 Seiten der Edition nehmen ausführliche und detaillierte Stellenkommentare zu den Briefwechseln ihren Platz ein, es folgen eine Zeittafel der Beziehungsgeschichte und Werk- und Personenregister. Einige wenige Photos runden diese mächtige Edition ab.
Zum Ende meiner teilhabenden Gedanken und Worte hier noch das Schlusswort des Kommentars von Zweien der vier Herausgeber dieser Edition, von Thomas Strässle und Barbara Wiedemann:
Nach der Lektüre des Briefwechsels bleibt eine Erschütterung zurück über die tragischen Dimensionen dieser Liebe. Ingeborg Bachmann und Max Frisch haben mit vielem gleichzeitig gekämpft: mit ihrer Leidenschaft, mit sich selbst, mit ihrer Zeit, mit ihrer Sucht. Und es bleibt die Frage, die von Ingeborg Bachmanns Vater in einem Brief an Max Frisch aufgeworfen wird: nämlich »ob wir Menschen uns zum Richter über andere stellen können« (Brief 282). Vielleicht ist es nun, nach all den Jahren, auf der Grundlage der erhaltenen Dokumente möglich, durch die Feindbilder hindurchzusehen und diese Beziehung zu erkennen als das, was sie war: ein gegenseitiges Verhängnis.
Gelesen im Februar 2023

