- 21. Okt. 2011
Drumherum ist’s nicht mehr…
Wohin gehst du liebst du scheinst du oder bist du finde ich dich wenn du nicht bist ertrage ich dich möchtest du ich sein wenn du über den Acker gehst du kotzt mich an bleib da gib mir Zeit bis ich weiß ein Ende finde ich nie…
Regel 1: immer erst Stift und Papier dann Tastatur, Korrektur mit Bleistift im Ausdruck.
Lebensläufe breiten sich aus… Konstruieren, Formen, Fäden aufnehmen, weiterspinnen.
Worte an die Hand nehmen, führen, anleinen, bändigen, biegen, klauben und dann wiederum: Worte gestalten die Seite und ich füge mich.
Durchsfensterstarren und das Suchen nach Klarheit in den Bäumen.
Nein, heute nicht, morgen auch nicht, lasst mich in Ruhe.
Regel 2: wenn’s stecken bleibt, wenn nichts mehr zu gehen scheint: In-A-Gadda-Da-Vida, Headbanging und dadaistisches Einsammeln von Wortfetzen.
Halt! Stop! Ist das nicht der falsche Weg?! Doch sie hört nicht, ist schon auf und davon, die Geschichte schreibt sich fort und ich staune.
Aalen und Suhlen in narzisstischen Anwandlungen.
Vorsicht! Triviale Schmonzettenpassage im Anmarsch, literarische Unwörter im Schlepptau… geschrieben, erkannt, beschmunzelt und weg damit.
Das lebendig werdende Clichée von zerknülltem Papier und gerauften Haaren.
Regel 3: zerknülltes Papier nicht wegwerfen, geraufte Haare nicht auf den Kompost.
Vergangenes kommt geht vorüber durchdringt öffnet ob ich verstehe zweifeln schaue zurück trete ein wandloser wandelreicher Korridor war es so oder ist es heute…
Sichten von Recherchematerialen im Tunnel, Lust an Disziplin… das zu Schreibende verwebt sich mit Geschehenem, Zeitgeschichte bekommt ein Gesicht, dessen Ausdruck für ein paar Augenblicke quellenrein erscheint, Zeitreise, Transzendenz.
Der Geruch von Zeitungsarchiven, sich verlierendes Wühlen.
Ist denn, verdammt noch mal, in diesem Hirn nicht ein beschissen kleines Synonym für dieses lausige Wort zu finden… Tagelanger Nonsense in der Birne, kein Wort ist das Wort der Woche… Grasen auf der Wortweide… Plagiatssehnsucht.
Verworfene Regeln, Freispiel.
Struktursuche.
Wunsch, ein Nachtmensch zu sein und nicht mit Einbruch der Dämmerung geistesleer, Freischaufeln von Tagesstunden.
Das Grumeln von der anderen Bettseite: oh, dieses Ideenmäandern, diese Kaskaden von Ausdrucksinnovation, dieses Jubilieren von überfluteten Leerstellen, im Dunkeln, wenn die Stille kommt; da hilft auch kein Wachs im Ohr, die Sirenen der plötzlich so klaren Worte betören: und zum 8ten Mal nun schon der Griff zum Nachttischlampenschalter oder zur Taschenlampe und zum Stift…
– Schlampenschalter, auch ein interessantes Wort –
… und am nächsten Morgen wieder verworfen.
Gewitterwolken im Licht untergehender Sonne, über sie hinweg durchs Blau ein gerader, weißer Pinselstrich, sich nach Norden bewegend, darunter ein langer Vogelschwarm nach Süden: warum darüber schreiben?! Sind solch ein Bild und das dazugehörige Schauen sich nicht selbst genug?
Der Flow verbietet den Griff zum Klopapier… Verstopfung.
Mit literarischem Verständnis prüfen und: Streichen, einzelne Worte, Sätze, Absätze, Seiten – Abwasch, Späne, Aceton, Feucht nauswischa, in die Kiste, Delete, Verabschieden, Loslassen.
Und das hab’ ich geschrieben?! Geisterhände.
Licht aus, aber wirklich jetzt!
Es regnet Staben aus Büchern lauschig ist es bizarr und betörend Nachtschal umgelegt gehegt gepflegt formaldehydriert im Gedächtnisgewölbe trotzdem vergessen egal vertraue es findet sich…
Rahel schaut mich mit großen Augen an. Sie ist schon seit Beginn an mit uns auf dem Hof. Den Friedensnobelpreis der Tierwelt werdet ihr sicher nicht gewinnen, sagt sie. Ich entgegne ihren Blick, entrüstet, hadernd. War’n Witz, wir wissen, was wir an euch haben, sie scheint zu lächeln, einen besseren Ort können wir uns gar nicht wünschen. Rana, ihre Schwester mit den tränenden Augen, gesellt sich dazu, sie ist die Sanftmütigere von Beiden. Sie streift um mich, als wäre sie eine Katze. Lass sie reden, du kennst sie doch… auch wenn wir unsere Jungs nicht gerne ziehen lassen, wir geben gerne unsere Milch für den besten Ziegenkäse Südbadens. Ich nehme ihren Kopf zwischen meine Hände, massiere ein wenig ihre Stirn zwischen den Hörnern, das mag sie. Besänftigen kann mich das jedoch nicht. Die anderen grasen und Segler mit seiner abgefahrenen Dandytolle über den Augen steht aufgerichtet und wittert stolz über seine Mädels hinweg. Er hat Glück gehabt, wurde ausgewählt zu bleiben. Was würdest du tun, wenn du bewusst die Wahl hättest? frage ich Rana stumm in den düsteren Himmel hinein, die tiefhängenden Wolken ziehen schnell.
Schon jetzt, da die Ziegen mit frischer Frucht im Leib sich gemächlich das herbstliche Gras zum späteren Wiederkäuen hineinfuttern und erster Wind die Kämme durchwühlt, breitet sich wieder dieses in den Sommermonaten verdrängte Dilemma in mir aus, es wird im Frühjahr seinen Höhepunkt erleben. Dann werden die Jungs, die noch ein, zwei Monate zuvor auf unseren Schößen saßen und von uns im Spiel bewundert und geliebt wurden, ans Messer geliefert. Es ist eben das Los der domestizierten Böcke, sagen die Bauern um uns, oder andere: wenn du so fühlst, dann musst du in Konsequenz vegan leben. Oder häng‘ das Ziegenkäse-machen an den Nagel, denke ich, (was aber wiederum die Existenz des Hofdaseins gefährden würde), oder ich nehme das Messer selbst zur Hand und verabschiede aufrichtig, wie Jördis Triebel in Emmas Glück. Precht, der Talkshow-Philosoph unserer Tage, schreibt (notwendig?) plakativ in Jenseits von Wurst und Käse über Wesen, die eines Tages auf die Erde kommen und dem Mensch in Intelligenz weit überlegen sind: … sie benutzen die Menschen zu medizinischen Versuchen, fertigen Schuhe, Autositze und Lampenschirme aus ihrer Haut, verwerten ihre Haare, Knochen und Zähne. Außerdem essen sie die Menschen auf, besonders die Kinder und Babys. Sie schmecken ihnen am besten, denn sie sind so weich, und ihr Fleisch so zart…
Was ist der Maßstab für den Lebenswert eines Lebewesens?

Es gibt, zumindest bei mir, eine Schwelle im Hirn, über die hinaus eine hingebungsvolle, sehr konzentrierte Aktivität des Geistes sich in die Träume einfließen lässt. Vor vielen Jahren zum Beispiel, als es eine Phase gab, in der ich unmäßig viel Schach spielte, nahmen die Protagonisten eines vergangenen Tages in den Bildern des Halbschlafes bis in die Zeit der Träume hinein die Gestalt von Schachfiguren an; und der Rahmen, innerhalb der sich dieser Tag bewegte, war der eines Schachbretts. Bisweilen hatte ich da das Gefühl, verrückt zu werden. Oder der ungebrochene Genuss von Daily-Soaps (ich oute mich jetzt nicht darüber, welche genau): hin und wieder mischten sich deren dürftige Figuren unter die realen Darsteller eines Traumes. Und so ist es auch in diesen Wochen: wenn ich jeden Abend ausgiebig in den Tagebüchern von Victor Klemperer lese, oder in Kempowskis Echolot, geschieht es, dass ich in den Träumen Teil dieser Zeit werde. Dann empfinde ich mehr als beim Versuch des empathischen Lesens die Übelkeit und den Widerwillen, nun schon über Wochen nur alte, ranzige Kartoffeln essen zu müssen, ich stehe an meinem Fenster, spähe angstvoll durch den Spalt des Vorhangs: es war nur der Handwerkerwagen, nicht die Gestapo! Manches Mal wache ich auf (ein Privileg des Träumenden), weil ich abgeführt werde: sie haben mein Schreiben in den Ritzen des Parketts entdeckt. Ab und an bin ich auf der Seite der Bösen, doch das geschieht meist nur mit einem düsteren, schlechten Gewissen angehaftet – zu sehr, bis in die Träume hinein, ist in unseren Nachkriegsgenerationen (zumindest in weitesten Teilen davon, so hoffe ich) das Fühlen, die Gedanken tief verinnerlicht: so nie wieder!
Wenn ich so träume, dann ist es meist ein Signal, für ein paar Tage die Tagebücher beiseite zu legen und Leichteres zu lesen… und Kraft der Distanz von vergangenen sieben Jahrzehnten reinigen sich die Träume zügig wieder hin zu Alltäglichem.Was bringt dir das alles, werde ich manchmal gefragt, dieses Wühlen in alten Zeiten, gibt es im Hier und Jetzt nicht genug zum Hinterfragen, oder: verdirbt dir es dir nicht das Schöne?! Ich kann es nicht wirklich genau sagen, nur soviel: es gehört zusammen und es bedrängt mich immer wieder, es betrifft mich, macht mich betroffen und auch dieses Traumempfinden möchte ich bewahren. Und wir sind ja befähigter Mensch genug, um auch wieder trennen zu können, zwischen Vergangenem und der Schönheit des Schauens, sitzend von einem großen Stein aus, mitten auf der Weide…


