- 16. Aug. 2019
Sitze unter den Schirmen des Caféhauses mit Milchkaffee und Kuchen. Eine hübsche, junge Frau lehnt in meinem Blick gegenüber an der Hauswand und genießt die späte Sonne und ich das Schauen. Wartet sie oder steht sie nur? Nach fünf Minuten wird sie wohl ein wenig ungeduldig und setzt sich auf einen freien Platz des Cafés auf der anderen Seite des Sträßchens, sie hat eine sehr ansprechende Figur, auch wie sie sich bewegt ist schön. Ich denke, sie merkt, wie ich schaue, aber ich habe ja das Notizbuch, um diese Worte hier zu schreiben, damit es nicht zu sehr auffällig ist, mein Schauen. Ist es sehnsüchtig? Interessiert mich nur, wer da noch kommt? Sie bekommt ein großes Apfelschorle, so sieht es jedenfalls aus auf die Distanz, ihr Lächeln ist sympathisch. Ob sie mir aus der Nähe auch gefallen würde? Ob ich sie ansprechen würde, wäre ich ein paar Jährchen jünger? Doch das direkte Ansprechen aus dem Nichts war noch nie wirklich das Meine. Jetzt isst sie Kuchen mit Sahne, es könnte ein Rhabarberkuchen sein mit Baiser, ich hatte Apfelkuchen. Schaut immer wieder mal auf ihr Smartphone, sie hat den Teller in der Hand beim Essen. Auch nach fünfzehn Minuten ist sie noch immer allein, jetzt nimmt sie den letzten Bissen, spült mit ihrem Trinken nach, lehnt sich zurück und schaut und wartet. Ob sie wirklich wartet? Ich kann noch keine Ungeduld oder Enttäuschung ausmachen. Eigentlich würde ich jetzt gehen, doch ich warte noch, ob sie weiter wartet. Sie schaut auf ihr Smartphone, ich glaube ein leichtes Kopfschütteln wahrnehmen zu können. Und sie bestellt auch schon die Rechnung, ihre Gesichtszüge sind nicht mehr so gelassen, als sie noch stand, mit geschlossenen Augen, der Sonne entgegen lehnend. Vielleicht täusche ich mich auch, eigentlich würde ich mich gerne neben sie setzen und sie fragen. Doch dann wäre der Zauber dieser Augenblicke verloren, was, wenn ihre Stimme nicht zu diesem Schauen passt, oder wenn sie breites Schwäbisch spricht oder sogar fast unverständliches Schweizerdeutsch. Ich grinse in mich hinein und rufe selbst zum Zahlen. Noch sitzt sie ungezahlt, anmutig lehnt sie sich nach vorn, stützt das Kinn auf ihre Hand und dann doch wieder: das Augenschließen in letzter Sonne an diesem Fleck. Dann zahlt sie, steht auf und ihr Hinweggehen wird gestört von der Bedienung, die auch mich abkassiert, nur einen letzten Blick erhasche ich noch, als sie hinter Fahrrädern und der Ecke verschwindet.

- 10. März 2019

Nachdem ich vor 2,3 Wochen das ganz und gar hervorragende neue Buch von Arno Geiger Unter der Drachenwand zu Ende gelesen habe, lag da noch unberührt Zsuzsa Bánks Schlafen werden wir später auf dem Büchertisch.
Am einem Abend ein erstes Blättern, freudig gespannt, da ich doch seit ihrem Erstling Der Schwimmer aus dem Jahre 2002 von der ihr eigenen oft traurigschön poetischen Sprachbildung angetan bin. Doch nach den ersten Seiten schon wurde ich unruhig: will ich mir (als Mann) diesen ewiglich (wenn man die fast 700 Seiten betrachtet) jammernden und manchmal pathetisch anmutenden Gedankenaustausch zweier Freundinnen antun, möchte ich teilhaben an dem über den Alltag (ob alleinstehend nach Trennung und überstandener Krankheit oder in Familie mit drei, das eigene Leben verändernden Kindern) oft so klagenden, herzergießenden Ton – wenngleich dieser auch in eine sehr schöne, aus der Zeit gefallen zu scheinenden Sprache gefasst ist?!
Aber mit zunehmendem Lesen nun verflüchtigt sich dieser Argwohn – nicht nur weil ich als Vater vierer wunderbarer Töchter und nun alleinerziehend und als Mann mit auch viel Frau in mir ausgestattet nachempfinden kann, sondern weil auch die Herzensnähe der beiden Frauen, die sie sich aus der Alltagszeit herausrauben, um sie zu pflegen, um sich zu pflegen, weil diese Nähe fast ein wenig sehnsüchtig werden lässt. Dieses liebende Schreiben in seiner Bewusstheit und im literarisch anspruchsvollen Atemschöpfen trägt diese beiden Frauen und hält sie und den Leser gleich mit. Und immer wieder, wenn man die schnell wechselnden Data liest, erinnert man sich daran, dass hier E-Mails hin und her geschickt werden und nicht Briefe, die Frauen sich einander im 18. Jahrhundert per Pferdekurier zugesandt haben.
Nun lese ich nur einige wenige Einträge am Abend bevor das Licht gelöscht wird, so werde ich nicht doch genötigt, über das manchmal sich allzu sammelnde Herzergießen zu stöhnen, bleibe gern dabei, auch wenn wenig geschieht und doch so viel, begleite Johanna in den Tiefen des Schwarzwalds und Márta im Treiben von Frankfurt…
Und so bin ich fast unbemerkt schon auf Seite 200 angekommen.
- 3. Jan. 2018
Ab und an bebt es leise in mir, wenn vorübergehende Menschen mich mit ihrer unvermittelten Nähe für einen kurzen Augenblick berühren. Manches Mal ist da dieses Kribbeln unter der Kopfhaut, wenn ich ein keimendes Blatt betrachte oder die Krähen im Scharenflug schaue. Du solltest diese Wahrnehmungen schärfen, sie trainieren, hatte einst ein Schamane zu mir gesagt.
Nein, weiß ich heute, ich muss nichts trainieren. Ich freue mich auf diese Empfindungen, lasse mich überraschen von den Entfaltungen, und wenn sie auftauchen, dann bin ich da, dann koste ich sie aus. Je nach dem wie offen meine Sinne sind, bleiben sie ein wenig länger, begleiten mich im Tag, meist sind sie nur dem einen Moment vorenthalten. Dann schließe ich die Augen, atme und gehe weiter, senke mich wieder hinein in das alltägliche Sein.


