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8. September 2013

Sonntagmorgen nach einer Gewitternacht

Links sind etwas für Denk- und Formulierfaule. Egal. Heut ist Sonntagmorgen, ein heftiges Nachtgewitter hat das Ende des Sommers eingeleitet. Und ich bin faul.

Verlinke schon wieder. Dieses Mal auf ein paar kurze, schon gedachte Gedanken von Khue Pham zum TV-Wahlkampf. Denn, obwohl über 40 und keine Frau: so habe ich auch gedacht, als ich diesen Männern und der Kanzlerin zuzuhören versuchte. So und natürlich auch anders, und vieles mehr. Aber es ist ja Sonntagmorgen nach einer Gewitternacht…

24. Oktober 2012

Frisch und Henschel

Einige Gedanken zu den Büchern
Antwort aus der Stille von Max Frisch
und
Kindheitsroman von Gerhard Henschel 

2. Juli 2012

Fünf Bücher

Welche fünf Bücher bedeuten mir so viel, dass ich sie nicht mehr hergeben würde?
Voilà: hier sind sie…

(abgesehen davon, dass ich noch viel mehr Bücher nicht mehr hergeben würde – ich trenne mich nicht leichtfertig von gelesenen Büchern)

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20. Mai 2012

Freitisch und Suna

Zwei neue Rezensionen zu
Freitisch von Uwe Timm
und
Suna von Pia Ziefle

16. Mai 2012

Vogelnähe

Es ist sehr schön, diese nahen Vögel hier bei uns zu haben. Die Meisen, Schwalben, Stare, Spechte, Elstern…

Wie war das eigentlich mit den Vögeln, als ich in den Städten lebte, über vierzig Jahre lang? Wenn ich weit zurückdenke, in meine Kindheit und Jugend, kommen mir zuerst die unzähligen Spatzen in den Sinn, die in regen, flinken Grüppchen die Bäume und Büsche unserer Straßen beherbergten, einer sah aus wie der andere. Hin und wieder streuten wir Brotkrumen hinab und freuten uns an den zwitscherreichen Pickvollführungen.
Dann war da Pipping. Der zahmste Wellensittich weit und breit – sein Käfig stand immer offen. Er kam uns Kindern durch die Wohnung entgegengeflogen, wenn wir aus der Schule kamen, saß beim Essen mal neben diesem Teller mal neben jenem und knabberte, was er eben abbekam. Abends lag er wohlig auf der Bettdecke meiner Schwester und kuschelte sich mit ihr darunter, wenn ihm danach war, bis er schließlich doch zu seinem Käfig den Nachtgang antrat (den Nachtflug anschwebte?) Hin und wieder saß er mit uns auf dem Balkon, ohne großes Interesse an der weiten Welt zu bekunden. Ich erinnere mich an einen Traum: Pipping saß auf dem hohen Baum gegenüber des Balkons auf der anderen Straßenseite und war starr vor Angst. Keiner konnte ihn dazu bewegen, zurückzufliegen und keiner schaffte es, zu ihm empor zu klettern. Irgendwann nach Tagen fiel er erschöpft vom Baum und war tot. Im wirklichen Leben genoss er in vollen Zügen das Dasein in unserem Zuhause und erst nach einem Umzug wurde er in hohem Alter Opfer einer Nachbarkatze, er lag zerrupft in unserem Garten. Entweder war er nach draußen geflogen oder die Katze kam herein, wir haben es nie in Erfahrung gebracht.

Später, mit zunehmender Bewusstheit waren die wunderbaren Stimmen der Amseln der Trigger für Wohlfühlmomente: in der Frühe, bevor die Stadt in ihre treibenden Gänge kam, und vor allem an den ersten warmen und längeren Abenden nach unwirtlichen Wintern.
Und dann dieses Warten und Staunen hoch über der Stadt auf die Krähen-schwärme: die ersten Kundschafter flogen aus der Rheinebene hinter dem Schönberg hervor und kaum später: der in den Himmel hinein inszenierte, für diesen schwebenden Augenblick wundervoll stille Geniestreich der Natur…
Und natürlich die Tauben. Auszug aus „Wolkenbruch“:
Vater hasste Tauben, diese Viecher sind doch keine Tiere mehr, rief er dann immer, sie sind schon wie die Menschen, laufen zwischen ihren Füßen herum, bleiben bei Rot an der Ampel stehen, und kommen sie von rechts aus irgendeiner Gasse angetippelt, musst du eine Vollbremsung mit dem Fahrrad machen, weil sie nicht erschreckt davon fliegen, nein, sie glauben sich im Recht, und während du über den Lenker auf den Asphalt knallst, laufen sie mit hochgerecktem Schnabel und Blick in eine andere Richtung an dir vorüber, picken weiter, als wäre nichts gewesen.

In der Stadt war das Erleben eines Vogels meist von Distanz getragen (Pipping war die Ausnahme, doch im Grunde war er nicht wirklich ein Vogel), aus der Ferne beobachtend, beiläufig, gedankenlos selbstverständlich und unachtsam nur im Unterbewusstsein wahrnehmend, oder es war ein manchmal ausgepacktes Instrument, um ein kurzes Wohlbefinden zu empfinden in dem Glauben, man nähme in jenem Augenblick Verbindung mit der Natur auf.

Und jetzt, in diesem anderen Leben, hier auf dem Land, in den nun endlich grüngewordenen, kleinen Tälern zwischen den schwarzen Wäldern, jetzt sind uns die Vögel nah, so nah, als wären sie Teil der Familie, oder, aus einer weniger menschenzentralistischen Sichtweise: als wären wir Teil der Familie
– der Meisen, die jeden Morgen hinterm Schlafzimmerfenster ihre Kunststücke an den Maiskugeln vollführen: wenn wir uns aus den Betten blättern und sie nah am Fenster begrüßen, dann bleiben sie, blicken uns an und frühstücken weiter. Im Schauen besonders eingenommen sind wir von den jungen Meisen – für solche Geschöpfe müssen die literarischen Unwörter erfunden worden sein: süß, niedlich, goldig.
– der Schwalben, die uns in der Stadt nur im Hoch- oder Tiefflug als Wetterbericht dienten: jetzt sitzen sie über unseren Köpfen im Stall und schauen uns fragend an: ob das wohl ein guter Platz ist zum Nisten? Klar, sag ich, macht ruhig, wenn ihr was braucht, sagt Bescheid. Und danach das Nestbauschweben durch den Stall, hinaus, hinein, ein schöner Klang, und manchmal sitzt das Päarchen draußen auf dem Zaun, Verschnaufpause, ich trete näher, und ein warmes Pulsieren breitet sich in mir aus: sie bleiben sitzen. Und ich freue mich darauf, wenn sie uns ihren piepsenden Nachwuchs vorstellen, und auf dessen erste Flugstunden. In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, denke ich jedes Mal, und wir schützen diesen Zauber, auch wenn unsere Katzen sich ihrer Beute beraubt fühlen.
– der Stare, deren sich sammelnden Massen am Rande der Städte ich nur als lebende Kunstinstallationen am Himmel in Erinnerung habe: hier nisten sie unter den tief fallenden Dächern und ihr Singen begrüßt uns, wenn wir in die Scheune kommen, um Heu in den Stall zu werfen. Und lustvoll fliegen sie schnell und behend unter den Dächern hervor und breiten zum Putz ihr schönes Gefieder aus in den Ästen der hohen Linde, erst hier habe ich deren schöne Zeichnungen zum ersten Mal bewusst gesehen.
– der Elstern, die meist in einer pubertären Gang zu siebt oder acht hier auftreten: randalieren immer vor dem Küchenfenster, machen sich dort auf dem Katzenbrett über das Katzenfutter her und verteilen die Schalen und Teller hinterm Haus; hin und wieder sitzen sie auf den nachsichtigen Eseln und rupfen das Fell zu unvorteilhaften Frisuren. Wenn wir sie deswegen rügen, ernten wir nur schäckerndes Gelächter. Dann rotten sie sich auf den Weiden oder in den Bäumen zusammen, und man kann davon ausgehen, dass sie wieder was im Schilde führen.
Und dann sind da noch die Eichelhäher, die hin und wieder in unregelmäßigen Abständen uns besuchen und vor dem Fenster auf ein paar Häppchen warten, im Baum mit doch vorsichtigerem Abstand begutachtet Herr Specht das ganze Treiben, manches Mal watschelt das Entenpaar vom weiter unten gelegenen Dorfteich am Bach entlang zu uns, selten verirren sich ein paar abenteuer-lustige Reiher auf den Feldern und über allem fliegen die Falken, Milane und Bussarde, mit denen ich gerne am Abend nach verbrachtem Tag kreisen und einen weiten Blick auf die Dinge bekommen würde.

Ja, es ist sehr schön, nah bei diesen Vögeln zu sein…

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31. März 2012

Das hast du nun davon

Das hast du nun davon. Musstest dich ja aufblähen über Monate hinweg. Mal wieder. Jetzt geht dir die Luft aus. Wird auch Zeit. Bist zurückgedrängt auf ein Halbmeterhäufchen unterm lang heruntergezogenen Dach der Schattenseite, und von oben am Waldrand ist noch ein welkes Wehklagen zu hören. Schnee, du bedauernswerte, vergängliche Gestalt. (Da grinst du hämisch. Jaja, ich weiß, es wird auch mich ereilen eines Tages). Derweil juchzen die Zicklein. Zum ersten Mal in ihrem noch kurzen Leben sehen sie mehr als Stall. Was ist das für ein Rennen, Hüpfen, Stoßen, Meckern draußen. All ihre bisher auf Euter und Schlaf im Stroh reduzierten Sinne begehren auf. Ein Versuchen der motorischen Fähigkeiten. Es ist, als würde ich ein ersehntes Buch in die Hand nehmen, als hätte ich lange nicht mehr gelesen, lange nicht mehr den Duft von sich umblätterndem Papier aufgesogen. Und dann die ersten Zeilen, das Sich-Öffnen einer anderen Welt, ein Entfalten des Geistes im Duett mit fremden Wörtern. Gut, der Vergleich hinkt ein wenig. Ist doch beim Lesen der Bewegungsapparat auf das Hineinrücken des Arsches in den Sessel reduziert, aber dennoch…
Es wird langsam Frühling. Auch auf tausend Meter über dem Meeresspiegel. Noch lassen die ersten Baumtriebe sich bitten. Man muss sie schon gehörig tätscheln, um die angedeutete, leise Stimme des Auffaltens zu ergattern. Dafür ist das Tönen der Vögel samt ihnen selbst zurückgekehrt. Aus den Wäldern. Daraus waren sie schon einige Wochen zu hören, die Vorboten des Winterabschieds. Die Meisen. Die Eichelhäher. Die Spechte. Die Gimpels und die Blaukehlchen. Und oben über der Weide kreist der erste Bussard. Und ein Milan. Und die Krähen nehmen ihr Spiel des letzten Sommers wieder auf: dieses Kreisen mit lautem Lachen stören: die Mäusestraßen sind eh noch nicht gereinigt vom Winterunrat, rufen sie.
Schlüsselblumen. Ja, die sind schon da.
Und der Klang des Wassers in den Bächen ist ein anderer.
Und das Wolkentreiben nimmt andere Gestalt an.
So ist es gut.

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In der Erinnerung bist du schön

4. Januar 2012

Internetpause

Nach einer selbstauferlegten, einmonatigen Internetpause ein herzliches Hallo  ins neue Jahr hinein mit den besten Wünschen an all die hier Kreisenden. Warum diese Pause in der Ausführung so konsequent war wie manch anderes Vornehmen im Alltag und warum überhaupt eine Pause von Nöten war, lest ihr hier:

Ja, diese Netzpause war in der konsequenten Ausführung etwa dem Vornehmen zuzuordnen, sämtlichen Süßkram außer Reichweite involvierter Sinne zu platzieren: irgendwo stößt man gewiss per „Zufall“ hier und da auf eine Schranktür oder Schublade, die sich wie von selbst auch ohne Code öffnen und ein (grinsendes) Stöhnen verursachen: wie, verdammt nochmal, kommen diese Kekse hierher?!! Oder das Vornehmen, die täglichen Yogaübungen und Meditationen zur körperlichen und geistigen Ertüchtigung zu vollführen, „es reichen ja schon 10 Minuten am Tag“: während am späten Abend das aufgeschlagene Buch sich gleichmäßig auf der müden Brust auf und nieder senkt, der kurze, resignierte Ausruf: das Leben ist zu kurz und ein solcher Tag erst recht (und im Stillen die bitterböse Einsicht: im Netz warst du trotz auferlegter Pause heute mindestens 60 Minuten). Und zum Vornehmen, das Bad und den Küchenfußboden mindestens so oft zu putzen, wie auch die Ställe gemistet werden: was gibt es nicht für unwiderlegbare Gründe, diesen zeitlichen Intervall zu dehnen, hinaus-zuschieben, und zu postulieren: und überhaupt hasse ich nichts mehr als Wischen; Staubsaugen okay, aber Wischen…
Jaja, die Ausflüchte: Mails, klar, die muss man checken und hie und da auch beantworten – an der nicht mehr erwähnenswerten Bedeutung gemessen ist dieser Vorgang nichts anderes als Zähneputzen… Spiegel-Online o.ä. durchforsten ist das Unumstößliche, das dem einstigen Blättern in der Tageszeitung gleichgestellt ist… und hier oben auf dem Berg inmitten schwarzer Wälder, eingeschneit und abgeschnitten von jeglich lebenserhaltendem Konsumverhalten, muss auch mal eine Online-Bestellung zumindest von Büchern drin sein… und ab und an auch ein kurzer Blick auf das, was all die Menschen da draußen in den sozialen Netzwerken so umtreibt – das fällt unter den im Grunde auch nicht allzu relevanten Kontrollverlust, den man ja auch sofort wieder im Griff hat (es sei denn man folgt Linktips, wie der von Pia zu Fahrenheit Null, und denkt dabei, hey, jenseits der Buchsupermarktwunschlisten o.ä. im Netz eine prima Sache, also gleich mal anmelden – nach 41 eingegebenen Vormerkungen muss natürlich auch noch Gelesenes preisgegeben werden, und erst als nach Stunden ein mehr oder weniger wohlwollendes: wolltest du nicht eigentlich…?! von irgendwo weither ans Ohr dringt, wird man vom schlechten Gewissen gepeitscht; das wiederum hat allerdings eine ertragbares Haltbarkeitsdatum einhergehend mit wohl trainierter Verdrängung).
Nungut, dies allem manches Mal trotzig wehrend, manches Mal fatalistisch ergeben gegenüberstehend, habe ich es letztlich doch geschafft, meine Netzpräsenz ziemlich zu reduzieren, und das war gut so!

Warum überhaupt eine Internetpause? oder in meinem Falle eben wahrheitsgemäßer: eine Internetreduzierung? Da war dieses plötzlich überreizte Flirren im Hirn und eine zunehmende Ungehaltenheit über die alltäglich notwendigen Dinge, die mich immer wieder vom Rechner weg holen wollten, zwei emotionale Reaktionen, die mich in einem Moment der hellsichtigen Selbstreflektion zu diesem Entschluss trieben. Es wurde schlicht und ergreifend zuviel des Guten: all diese oft interessanten Beiträge in G+ gespickt mit Links und ansehnlichen Photos, das Entdecken von Menschen, die mehr oder weniger etwas zu sagen haben und das eigene Posten, das ja auch ab und an Überlegung erfordert… das Sich-Anmelden, nach langer Verweigerung, nun doch zusätzlich bei Facebook…

( – dazu kurz ein notwendig familiärer Exkurs: seit einiger Zeit schon belagere ich meine geliebten, schon viel zu erwachsenen Inseltöchter inmitten des weiten Ozeans, mir doch aus ihrem Leben mehr Photos und Lebenszeichen per Mail zu schicken, mit nicht allzu viel Erfolg. Dies einem Freund geklagt, lacht er nur und sagt: schau doch mal auf Facebook. Gut, dann also für das Verbindende die langangehaltene Verweigerungshaltung aufgebend tue ich das mit Decknamen, ferner E-Mail-Adresse und allen möglich recherchierten Privatsphärenschutz-einstellungen und FB-Blockern (FB kriegt mich nicht auch noch! denke ich) und plötzlich  breitet sich die (Netz)Welt meiner Töchter aus. Und auch wenn ich teilweise entsetzt bin über über die freizügige Öffentlichkeit vor allem von unzähligen Photos, merke ich als bisheriger SN-Hinterwäldler doch, dass sich da eine zusätzliche Brücke aufbauen kann. Und ich denke wehmütig: nachdem Briefe und Postkarten längst schon das Zeitliche gesegnet hat, smsen auch schon fast out ist und Telefonieren über diese Distanz auf Dauer zu teuer, liegt nun auch das E-Mailen in den letzten Zügen und übergibt in der Facon einer direkten, plaudernden Unterhaltung die Kommunikation an Facebook.)

Aber zurück zur Überreizung: im gleichen Atemzug zur Facebook-Anmeldung auch das Abschließen eines Probeabos für die neu aufgemachten Spiegel-Digital-Ausgaben, die natürlich auch gelesen werden müssen… das Verfolgen von sich anstauenden, interessanten Blogs… das Pflegen der eigenen Homepage… und, beim morgendliche Müsli: Papa, wie werden Haferflocken gemacht?! Na, da schauen wir doch mal zusammen in Wikipedia, um nichts Falsches zu erzählen… und natürlich all die Photocollagen, die zusammen mit weihnachtlichen Grüßen per Mail an all die Nahen versand werden wollen (und die mannigfaltigen Antworten natürlich gelesen)… undundund… und dann kam auch noch der Eselsohren-Adventskalender hinzu und der Ehrgeiz, die richtigen Antworten im Netz zu ergründen – doch da, schon am zweiten oder dritten Türchen, kam die Intention: Schluss jetzt!!!
All das wurde zuviel, ich war zu sehr eingebunden in dieses sofasitzende Paralleluniversum und musste mich zuweilen mit zuviel Mühe wieder in den haptisch greifbareren Alltag hinüber- und hineinraffen. Das tat mir nicht gut und auch den mir Nahen um mich nicht. Nun werde ich zukünftig besser strukturieren und filtern, werde mir Zeitvorgaben setzen, werde eine innere Instanz einrichten, die alarmiert, wenn der Blick hinein in dieses leuchtende Viereck zum Sog zu werden beginnt und mich wegholt von den Düften des Winters, von der warmen, nahen Haut der Lieben um mich, von den begehrenden und zugeneigten Tönen unserer Tiere… (drum ende ich nun hier und stapfe gleich keuchend zig Male durch den hohen Schnee hinauf zum Waldrand, um glücklich und von einfacher Draußen-Poesie vereinnahmt beim gemeinsamen Schlittenabfahren dem Kindesjubilieren zu lauschen, das vom Wald widerhallend sich über die weißen Wiesen und Weiden ergießt).

22. Oktober 2011

Schreiben (kaskadistischer Ausschnitt)

Drumherum ist’s nicht mehr…
Wohin gehst du liebst du scheinst du oder bist du finde ich dich wenn du nicht bist ertrage ich dich möchtest du ich sein wenn du über den Acker gehst du kotzt mich an bleib da gib mir Zeit bis ich weiß ein Ende finde ich nie…
Regel 1: immer erst Stift und Papier dann Tastatur, Korrektur mit Bleistift im Ausdruck.
Lebensläufe breiten sich aus… Konstruieren, Formen, Fäden aufnehmen, weiterspinnen.
Worte an die Hand nehmen, führen, anleinen, bändigen, biegen, klauben und dann wiederum: Worte gestalten die Seite und ich füge mich.
Durchsfensterstarren und das Suchen nach Klarheit in den Bäumen.
Nein, heute nicht, morgen auch nicht, lasst mich in Ruhe.
Regel 2: wenn’s stecken bleibt, wenn nichts mehr zu gehen scheint: In-A-Gadda-Da-Vida, Headbanging und dadaistisches Einsammeln von Wortfetzen.
Halt! Stop! Ist das nicht der falsche Weg?! Doch sie hört nicht, ist schon auf und davon, die Geschichte schreibt sich fort und ich staune.
Aalen und Suhlen in narzisstischen Anwandlungen.
Vorsicht! Triviale Schmonzettenpassage im Anmarsch, literarische Unwörter im Schlepptau… geschrieben, erkannt, beschmunzelt und weg damit.
Das lebendig werdende Clichée von zerknülltem Papier und gerauften Haaren.
Regel 3: zerknülltes Papier nicht wegwerfen, geraufte Haare nicht auf den Kompost.
Vergangenes kommt geht vorüber durchdringt öffnet ob ich verstehe zweifeln schaue zurück trete ein wandloser wandelreicher Korridor war es so oder ist es heute…
Sichten von Recherchematerialen im Tunnel, Lust an Disziplin… das zu Schreibende verwebt sich mit Geschehenem, Zeitgeschichte bekommt ein Gesicht, dessen Ausdruck für ein paar Augenblicke quellenrein erscheint, Zeitreise, Transzendenz.
Der Geruch von Zeitungsarchiven, sich verlierendes Wühlen.
Ist denn, verdammt noch mal, in diesem Hirn nicht ein beschissen kleines Synonym für dieses lausige Wort zu finden… Tagelanger Nonsense in der Birne, kein Wort ist das Wort der Woche… Grasen auf der Wortweide… Plagiatssehnsucht.
Verworfene Regeln, Freispiel.
Struktursuche.
Wunsch, ein Nachtmensch zu sein und nicht mit Einbruch der Dämmerung geistesleer, Freischaufeln von Tagesstunden.
Das Grumeln von der anderen Bettseite: oh, dieses Ideenmäandern, diese Kaskaden von Ausdrucksinnovation, dieses Jubilieren von überfluteten Leerstellen, im Dunkeln, wenn die Stille kommt; da hilft auch kein Wachs im Ohr, die Sirenen der plötzlich so klaren Worte betören: und zum 8ten Mal nun schon der Griff zum Nachttischlampenschalter oder zur Taschenlampe und zum Stift…
– Schlampenschalter, auch ein interessantes Wort –
… und am nächsten Morgen wieder verworfen.
Gewitterwolken im Licht untergehender Sonne, über sie hinweg durchs Blau ein gerader, weißer Pinselstrich, sich nach Norden bewegend, darunter ein langer Vogelschwarm nach Süden: warum darüber schreiben?! Sind solch ein Bild und das dazugehörige Schauen sich nicht selbst genug?
Der Flow verbietet den Griff zum Klopapier… Verstopfung.
Mit literarischem Verständnis prüfen und: Streichen, einzelne Worte, Sätze, Absätze, Seiten – Abwasch, Späne, Aceton, Feucht nauswischa, in die Kiste, Delete, Verabschieden, Loslassen.
Und das hab’ ich geschrieben?! Geisterhände.
Licht aus, aber wirklich jetzt!
Es regnet Staben aus Büchern lauschig ist es bizarr und betörend Nachtschal umgelegt gehegt gepflegt formaldehydriert im Gedächtnisgewölbe trotzdem vergessen egal vertraue es findet sich…

7. Oktober 2011

Was ist der Maßstab für den Lebenswert eines Lebewesens?

Rahel schaut mich mit großen Augen an. Sie ist schon seit Beginn an mit uns auf dem Hof. Den Friedensnobelpreis der Tierwelt werdet ihr sicher nicht gewinnen, sagt sie. Ich entgegne ihren Blick, entrüstet, hadernd. War’n Witz, wir wissen, was wir an euch haben, sie scheint zu lächeln, einen besseren Ort können wir uns gar nicht wünschen. Rana, ihre Schwester mit den tränenden Augen, gesellt sich dazu, sie ist die Sanftmütigere von Beiden. Sie streift um mich, als wäre sie eine Katze. Lass sie reden, du kennst sie doch… auch wenn wir unsere Jungs nicht gerne ziehen lassen, wir geben gerne unsere Milch für den besten Ziegenkäse Südbadens. Ich nehme ihren Kopf zwischen meine Hände, massiere ein wenig ihre Stirn zwischen den Hörnern, das mag sie. Besänftigen kann mich das jedoch nicht. Die anderen grasen und Segler mit seiner abgefahrenen Dandytolle über den Augen steht aufgerichtet und wittert stolz über seine Mädels hinweg. Er hat Glück gehabt, wurde ausgewählt zu bleiben. Was würdest du tun, wenn du bewusst die Wahl hättest? frage ich Rana stumm in den düsteren Himmel hinein, die tiefhängenden Wolken ziehen schnell.

Schon jetzt, da die Ziegen mit frischer Frucht im Leib sich gemächlich das herbstliche Gras zum späteren Wiederkäuen hineinfuttern und erster Wind die Kämme durchwühlt, breitet sich wieder dieses in den Sommer-monaten verdrängte Dilemma in mir aus, es wird im Frühjahr seinen Höhepunkt erleben. Dann werden die Jungs, die noch ein, zwei Monate zuvor auf unseren Schößen saßen und von uns im Spiel bewundert und geliebt wurden, ans Messer geliefert. Es ist eben das Los der domestizierten Böcke, sagen die Bauern um uns, oder andere: wenn du so fühlst, dann musst du in Konsequenz vegan leben. Oder häng‘ das Ziegenkäse-machen an den Nagel, denke ich, (was aber wiederum die Existenz des Hofdaseins gefährden würde), oder ich nehme das Messer selbst zur Hand und verabschiede aufrichtig, wie Jördis Triebel in Emmas Glück. Precht, der Talkshow-Philosoph unserer Tage, schreibt (notwendig?) plakativ in Jenseits von Wurst und Käse über Wesen, die eines Tages auf die Erde kommen und dem Mensch in Intelligenz weit überlegen sind: … sie benutzen die Menschen zu medizinischen Versuchen, fertigen Schuhe, Autositze und Lampenschirme aus ihrer Haut, verwerten ihre Haare, Knochen und Zähne. Außerdem essen sie die Menschen auf, besonders die Kinder und Babys. Sie schmecken ihnen am besten, denn sie sind so weich, und ihr Fleisch so zart…

Was ist der Maßstab für den Lebenswert eines Lebewesens?

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2. Oktober 2011

Sitzend von einem großen Stein aus, mitten auf der Weide…

Es gibt, zumindest bei mir, eine Schwelle im Hirn, über die hinaus eine hingebungsvolle, sehr konzentrierte Aktivität des Geistes sich in die Träume einfließen lässt. Vor vielen Jahren zum Beispiel, als es eine Phase gab, in der ich unmäßig viel Schach spielte, nahmen die Protagonisten eines vergangenen Tages in den Bildern des Halbschlafes bis in die Zeit der Träume hinein die Gestalt von Schachfiguren an; und der Rahmen, innerhalb der sich dieser Tag bewegte, war der eines Schachbretts. Bisweilen hatte ich da das Gefühl, verrückt zu werden. Oder der ungebrochene Genuss von Daily-Soaps (ich oute mich jetzt nicht darüber, welche genau): hin und wieder mischten sich deren dürftige Figuren unter die realen Darsteller eines Traumes. Und so ist es auch in diesen Wochen: wenn ich jeden Abend ausgiebig in den Tagebüchern von Victor Klemperer lese, oder in Kempowskis Echolot, geschieht es, dass ich in den Träumen Teil dieser Zeit werde. Dann empfinde ich mehr als beim Versuch des empathischen Lesens die Übelkeit und den Widerwillen, nun schon über Wochen nur alte, ranzige Kartoffeln essen zu müssen, ich stehe an meinem Fenster, spähe angstvoll durch den Spalt des Vorhangs: es war nur der Handwerkerwagen, nicht die Gestapo! Manches Mal wache ich auf (ein Privileg des Träumenden), weil ich abgeführt werde: sie haben mein Schreiben in den Ritzen des Parketts entdeckt. Ab und an bin ich auf der Seite der Bösen, doch das geschieht meist nur mit einem düsteren, schlechten Gewissen angehaftet – zu sehr, bis in die Träume hinein, ist in unseren Nachkriegsgenerationen (zumindest in weitesten Teilen davon, so hoffe ich) das Fühlen, die Gedanken tief verinnerlicht: so nie wieder!

Wenn ich so träume, dann ist es meist ein Signal, für ein paar Tage die Tagebücher beiseite zu legen und Leichteres zu lesen… und Kraft der Distanz von vergangenen sieben Jahrzehnten reinigen sich die Träume zügig wieder hin zu Alltäglichem.
Was bringt dir das alles, werde ich manchmal gefragt, dieses Wühlen in alten Zeiten, gibt es im Hier und Jetzt nicht genug zum Hinterfragen, oder: verdirbt dir es dir nicht das Schöne?! Ich kann es nicht wirklich genau sagen, nur soviel: es gehört zusammen und es bedrängt mich immer wieder, es betrifft mich, macht mich betroffen und auch dieses Traumempfinden möchte ich bewahren. Und wir sind ja befähigter Mensch genug, um auch wieder trennen zu können, zwischen Vergangenem und der Schönheit des Schauens, sitzend von einem großen Stein aus, mitten auf der Weide…

1. Oktober 2011

Victor Klemperer schreibt…

…am Dienstag, 2 Juni 1942 gegen Abend:

… Neue Verordnungen in judaeos. Der Würger wird immer enger angezogen, die Zermürbung mit immer neuen Schikanen betrieben. Was ist in den letzten Jahren alles an Großem und Kleinem zusammengekommen! Und der kleine Nadelstich ist manchmal quälender als der Keulenschlag. Ich stelle einmal die Verordnungen zusammen: 1) Nach acht oder neun Uhr Abends zu Hause sein. Kontrolle! 2) Aus eigenem Haus vertrieben. 3) Radioverbot, Telefonverbot. 4) Theater-, Kino-, Konzert-, Museumsverbot. 5) Verbot, Zeitschriften zu abonnieren oder zu kaufen. 6) Verbot zu fahren; (dreiphasig: a) Autobusse verboten, nur Vorderperron der Tram erlaubt, b) alles Fahren verboten, außer zur Arbeit, c) auch zur Arbeit zu Fuß, sofern man nicht 7km entfernt wohnt oder krank ist (aber um ein Krankheitsattest wird schwer gekämpft). Natürlich auch Verbot der Autodroschke. 7) Verbot, „Mangelware“ zu kaufen 8 ) Verbot, Zigarren zu kaufen oder irgendwelche Rauchstoffe. 9) Verbot, Blumen zu kaufen. 10) Entziehung der Milchkarte. 11) Verbot, zum Barbier zu gehen. 12) jede Art von Handwerker nur nach Antrag bei der Gemeinde bestellbar. 13) Zwangsablieferung von Schreibmaschinen, 14) von Pelzen und Wolldecken, 15) von Fahrrädern – zur Arbeit darf geradelt werden (Sonntagsausflug und Besuch zu Rad verboten), 16) von Liegestühlen, 17) von Hunden, Katzen, Vögeln. 18) Verbot, die Bannmeile Dresdens zu verlassen, 19) den Bahnhof zu betreten, 20) das Ministeriumsufer, die Parks zu betreten, 21) die Bürgerwiese und die Randstraßen des Großen Gartens (Park- und Lennéstraße, Karcherallee) zu benutzen. Diese letzte Verschärfung seit gestern erst. Auch das Betreten von Markthallen seit vorgestern verboten. 22) Seit dem 19. September der Judenstern. 23) Verbot, Vorräte an Eßwaren im Hause zu haben. (Gestapo nimmt auch mit, was auf Marken gekauft ist.) 24) Verbot der Leihbibliotheken. 25) Durch den Stern sind uns alle Restaurants verschlossen … 26) Keine Kleiderkarte. 27) Keine Fischkarte. 28) Keine Sonderzuteilung wie Kaffee, Schokolade, Obst, Kondensmilch. 29) Die Sondersteuern. 30) Die ständig verengte Freigrenze. Meine zuerst 600, dann 320, jetzt 185 Mark. 31) Einkaufsbeschränkung auf eine Stunde (drei bis vier, Sonnabend zwölf bis eins). Ich glaube, diese 31 Punkte sind alles. Sie sind aber alle zusammen gar nichts gegen die ständige Gefahr der Haussuchung, der Mißhandlung, des Gefängnisses, Konzentrationslagers und gewaltsamen Todes.

Jüdische Geschichte und Kultur: Victor Klemperer

30. September 2011

Was für ein Schauen

Was für ein Schauen seit vielen Abenden schon, ich sitze auf dem Stein mitten auf einer der Weiden. Um mich grasen die Jungziegen, als hätten sie keinen Sinn für Herbstlichtaufwerfungen, die die Atmosphäre im Spiel mit der Sonne vom Farbstapel lässt. Doch das nehme ich ihnen nicht ab, den Ziegenmädels, ich seh doch, wie sie manchmal inne halten und übers Land schauen – der Glanz in den Augen muss bedeuten: ich empfinde gerade, auch wenn ich es nicht bemerke: was für eine schöne Welt. Mauri lehnt nah an mir, wir haben sie von einem anderen Ziegenhof vor dem Schlachter gerettet, sie ist ein wenig zurückgeblieben im Wachsen, die Hälfte eines Horns muss sie sich abgestoßen haben, noch hat sie nicht erzählt, wobei. Sie legt ihren kleinen Kopf auf meinen Schoß, die Lider entspannen sich und schließen sich halb. Das kleine Menschenkind springt lachend mit einem Stock um ihre Ziegenfreundinnen und durch dieses Licht hindurch… für einen Moment halte ich den Atem an, denn ich fürchte, mit der nächsten leisesten Bewegung löst sich alles auf. Doch es bleibt einfach, es bleibt wie es ist: friedvoll und schön.

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30. September 2011

Busfahren

Busfahren. Der Landbusfahrer in die Stadt. Oder zurück aufs Land. Setze mich in genügender Distanz, um nicht plaudern zu müssen, aber nah genug, um ihm zuhören zu können. Nie habe ich zuvor einen Menschen, geschweige denn einen Busfahrer soviel reden hören. Er redet mit jedem, der auf den vordersten Plätzen sitzt. Die Ureinwohner nehmen stets hinten Platz, nur ein paar ihm Zugewandte plaudern mit ihm. Vor ein paar Tagen: ein Mädel, doch schon 18, auch das erfährt man, stöhnt, sie müsse jeden Tag um halb 5 aufstehen, 2 Stunden Zug fahren, um sich dann im Betrieb 8 Stunden anmachen zu lassen von den männlichen Kollegen, diese Wichser, ist schon hart, so früh raus, sagt er, vielleicht solltest du dich weniger schminken. Und ob sie Kondome in ihrer Tasche hätte. Gestern ein mittelalterliches Paar, Franzosen, oder Schweizer. Nur sie konnte ein paar Brocken Deutsch. Er redete und redete, erklärte ihnen den Schwarzwald, und in der kurzen Mittagspause habe er sich Baquette, Käse und Tomaten gekauft. So ein Zufall, lachte er, und jetzt ihr Franzosen. Er duzt jeden, ob jung oder alt. In Cannes wäre er schon gewesen, Filmfestival. Das hat mich nun doch überrascht; und fast sympathisch wird er mir, als er jetzt, da ich bald aussteigen muss, lauthals in bestem Badisch mit seinem Radio streitet (die vorderen Sitze sind leer): übersetzt: nullkomma-fünfundzwanzig Prozent Abgabe für die Banken, ist es denn zu fassen, ich werd denen mit dem Bus ins Gebälk fahren… wenn ich Grieche wäre, ich wäre auf den Straßen, würde den Bonzen einen Besuch abstatten, der sich gewaschen hat…
Vielleicht, sage ich beim Aussteigen zu einer glotzenden Kuh, werde ich ab und an von ihm schreiben.

29. September 2011

Drinnen (oder weit weg) und nahdraußen

Euro-Abweichler erzürnen die Parteigranden… und im Blick nahdraußen: hochsteigende Schattenspielziegen schneiden sich in gegenlichtige Abendsonne, aneinanderschlagender Hornklang. Schwarz-Gelb feiert Zittersieg… und nahdraußen: stolz steht die alte Linde, Wind in ihr, erstes Blattwerk um ihren Stamm. Copyright-Kämpfer Kauder soll Urheberrechte verletzt haben… und: gelassenes Milankreisen, ein nervöser Falke bricht die Bahn, jetzt fliegen sie gemeinsam. Mord ohne Grund… und: vier Tage ist sie schon nicht mehr nach Hause gekommen, die einäugige Katze, auf der Straße ist ein zerquetschtes, schwarzes Etwas gesehen worden, Traurigkeit. Fuchs bringt Schalke in Führung… und: Eselschnauben und der Huf hebt sich um Zentimeter, vielleicht ein Käfer oder eine „Armemeise“. Eskalation der Gewalt: Syriens Opposition greift zu den Waffen… und: paarweise legen sich die Kleinen aneinander, käuen wieder im Gras, die Sonne geht beiläufig unter. Christenverfolgung in Iran: Pastor droht Todesstrafe… und: es schäumt unter dem Euter, ein weißer Hof um kleinen Mund, das Kind sitzt auf glotzigem Holz, träumt in warme Milch hinein.

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