- 16. Mai 2012
Es ist sehr schön, diese nahen Vögel hier bei uns zu haben. Die Meisen, Schwalben, Stare, Spechte, Elstern…
Wie war das eigentlich mit den Vögeln, als ich in den Städten lebte, über vierzig Jahre lang? Wenn ich weit zurückdenke, in meine Kindheit und Jugend, kommen mir zuerst die unzähligen Spatzen in den Sinn, die in regen, flinken Grüppchen die Bäume und Büsche unserer Straßen beherbergten, einer sah aus wie der andere. Hin und wieder streuten wir Brotkrumen hinab und freuten uns an den zwitscherreichen Pickvollführungen.Dann war da Pipping. Der zahmste Wellensittich weit und breit – sein Käfig stand immer offen. Er kam uns Kindern durch die Wohnung entgegengeflogen, wenn wir aus der Schule kamen, saß beim Essen mal neben diesem Teller mal neben jenem und knabberte, was er eben abbekam. Abends lag er wohlig auf der Bettdecke meiner Schwester und kuschelte sich mit ihr darunter, wenn ihm danach war, bis er schließlich doch zu seinem Käfig den Nachtgang antrat (den Nachtflug anschwebte?) Hin und wieder saß er mit uns auf dem Balkon, ohne großes Interesse an der weiten Welt zu bekunden. Ich erinnere mich an einen Traum: Pipping saß auf dem hohen Baum gegenüber des Balkons auf der anderen Straßenseite und war starr vor Angst. Keiner konnte ihn dazu bewegen, zurückzufliegen und keiner schaffte es, zu ihm empor zu klettern. Irgendwann nach Tagen fiel er erschöpft vom Baum und war tot. Im wirklichen Leben genoss er in vollen Zügen das Dasein in unserem Zuhause und erst nach einem Umzug wurde er in hohem Alter Opfer einer Nachbarkatze, er lag zerrupft in unserem Garten. Entweder war er nach draußen geflogen oder die Katze kam herein, wir haben es nie in Erfahrung gebracht.
Später, mit zunehmender Bewusstheit waren die wunderbaren Stimmen der Amseln der Trigger für Wohlfühlmomente: in der Frühe, bevor die Stadt in ihre treibenden Gänge kam, und vor allem an den ersten warmen und längeren Abenden nach unwirtlichen Wintern.Und dann dieses Warten und Staunen hoch über der Stadt auf die Krähen-schwärme: die ersten Kundschafter flogen aus der Rheinebene hinter dem Schönberg hervor und kaum später: der in den Himmel hinein inszenierte, für diesen schwebenden Augenblick wundervoll stille Geniestreich der Natur…Und natürlich die Tauben. Auszug aus „Wolkenbruch“:Vater hasste Tauben, diese Viecher sind doch keine Tiere mehr, rief er dann immer, sie sind schon wie die Menschen, laufen zwischen ihren Füßen herum, bleiben bei Rot an der Ampel stehen, und kommen sie von rechts aus irgendeiner Gasse angetippelt, musst du eine Vollbremsung mit dem Fahrrad machen, weil sie nicht erschreckt davon fliegen, nein, sie glauben sich im Recht, und während du über den Lenker auf den Asphalt knallst, laufen sie mit hochgerecktem Schnabel und Blick in eine andere Richtung an dir vorüber, picken weiter, als wäre nichts gewesen.
In der Stadt war das Erleben eines Vogels meist von Distanz getragen (Pipping war die Ausnahme, doch im Grunde war er nicht wirklich ein Vogel), aus der Ferne beobachtend, beiläufig, gedankenlos selbstverständlich und unachtsam nur im Unterbewusstsein wahrnehmend, oder es war ein manchmal ausgepacktes Instrument, um ein kurzes Wohlbefinden zu empfinden in dem Glauben, man nähme in jenem Augenblick Verbindung mit der Natur auf.
Und jetzt, in diesem anderen Leben, hier auf dem Land, in den nun endlich grüngewordenen, kleinen Tälern zwischen den schwarzen Wäldern, jetzt sind uns die Vögel nah, so nah, als wären sie Teil der Familie, oder, aus einer weniger menschenzentralistischen Sichtweise: als wären wir Teil der Familie– der Meisen, die jeden Morgen hinterm Schlafzimmerfenster ihre Kunststücke an den Maiskugeln vollführen: wenn wir uns aus den Betten blättern und sie nah am Fenster begrüßen, dann bleiben sie, blicken uns an und frühstücken weiter. Im Schauen besonders eingenommen sind wir von den jungen Meisen – für solche Geschöpfe müssen die literarischen Unwörter erfunden worden sein: süß, niedlich, goldig.– der Schwalben, die uns in der Stadt nur im Hoch- oder Tiefflug als Wetterbericht dienten: jetzt sitzen sie über unseren Köpfen im Stall und schauen uns fragend an: ob das wohl ein guter Platz ist zum Nisten? Klar, sag ich, macht ruhig, wenn ihr was braucht, sagt Bescheid. Und danach das Nestbauschweben durch den Stall, hinaus, hinein, ein schöner Klang, und manchmal sitzt das Päarchen draußen auf dem Zaun, Verschnaufpause, ich trete näher, und ein warmes Pulsieren breitet sich in mir aus: sie bleiben sitzen. Und ich freue mich darauf, wenn sie uns ihren piepsenden Nachwuchs vorstellen, und auf dessen erste Flugstunden. In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, denke ich jedes Mal, und wir schützen diesen Zauber, auch wenn unsere Katzen sich ihrer Beute beraubt fühlen.– der Stare, deren sich sammelnden Massen am Rande der Städte ich nur als lebende Kunstinstallationen am Himmel in Erinnerung habe: hier nisten sie unter den tief fallenden Dächern und ihr Singen begrüßt uns, wenn wir in die Scheune kommen, um Heu in den Stall zu werfen. Und lustvoll fliegen sie schnell und behend unter den Dächern hervor und breiten zum Putz ihr schönes Gefieder aus in den Ästen der hohen Linde, erst hier habe ich deren schöne Zeichnungen zum ersten Mal bewusst gesehen.– der Elstern, die meist in einer pubertären Gang zu siebt oder acht hier auftreten: randalieren immer vor dem Küchenfenster, machen sich dort auf dem Katzenbrett über das Katzenfutter her und verteilen die Schalen und Teller hinterm Haus; hin und wieder sitzen sie auf den nachsichtigen Eseln und rupfen das Fell zu unvorteilhaften Frisuren. Wenn wir sie deswegen rügen, ernten wir nur schäckerndes Gelächter. Dann rotten sie sich auf den Weiden oder in den Bäumen zusammen, und man kann davon ausgehen, dass sie wieder was im Schilde führen.Und dann sind da noch die Eichelhäher, die hin und wieder in unregelmäßigen Abständen uns besuchen und vor dem Fenster auf ein paar Häppchen warten, im Baum mit doch vorsichtigerem Abstand begutachtet Herr Specht das ganze Treiben, manches Mal watschelt das Entenpaar vom weiter unten gelegenen Dorfteich am Bach entlang zu uns, selten verirren sich ein paar abenteuer-lustige Reiher auf den Feldern und über allem fliegen die Falken, Milane und Bussarde, mit denen ich gerne am Abend nach verbrachtem Tag kreisen und einen weiten Blick auf die Dinge bekommen würde.
Ja, es ist sehr schön, nah bei diesen Vögeln zu sein…

- 30. März 2012
Das hast du nun davon. Musstest dich ja aufblähen über Monate hinweg. Mal wieder. Jetzt geht dir die Luft aus. Wird auch Zeit. Bist zurückgedrängt auf ein Halbmeterhäufchen unterm lang heruntergezogenen Dach der Schattenseite, und von oben am Waldrand ist noch ein welkes Wehklagen zu hören. Schnee, du bedauernswerte, vergängliche Gestalt. (Da grinst du hämisch. Jaja, ich weiß, es wird auch mich ereilen eines Tages). Derweil juchzen die Zicklein. Zum ersten Mal in ihrem noch kurzen Leben sehen sie mehr als Stall. Was ist das für ein Rennen, Hüpfen, Stoßen, Meckern draußen. All ihre bisher auf Euter und Schlaf im Stroh reduzierten Sinne begehren auf. Ein Versuchen der motorischen Fähigkeiten. Es ist, als würde ich ein ersehntes Buch in die Hand nehmen, als hätte ich lange nicht mehr gelesen, lange nicht mehr den Duft von sich umblätterndem Papier aufgesogen. Und dann die ersten Zeilen, das Sich-Öffnen einer anderen Welt, ein Entfalten des Geistes im Duett mit fremden Wörtern. Gut, der Vergleich hinkt ein wenig. Ist doch beim Lesen der Bewegungsapparat auf das Hineinrücken des Arsches in den Sessel reduziert, aber dennoch…
Es wird langsam Frühling. Auch auf tausend Meter über dem Meeresspiegel. Noch lassen die ersten Baumtriebe sich bitten. Man muss sie schon gehörig tätscheln, um die angedeutete, leise Stimme des Auffaltens zu ergattern. Dafür ist das Tönen der Vögel samt ihnen selbst zurückgekehrt. Aus den Wäldern. Daraus waren sie schon einige Wochen zu hören, die Vorboten des Winterabschieds. Die Meisen. Die Eichelhäher. Die Spechte. Die Gimpels und die Blaukehlchen. Und oben über der Weide kreist der erste Bussard. Und ein Milan. Und die Krähen nehmen ihr Spiel des letzten Sommers wieder auf: dieses Kreisen mit lautem Lachen stören: die Mäusestraßen sind eh noch nicht gereinigt vom Winterunrat, rufen sie.
Schlüsselblumen. Ja, die sind schon da.
Und der Klang des Wassers in den Bächen ist ein anderer.
Und das Wolkentreiben nimmt andere Gestalt an.
So ist es gut.

In der Erinnerung bist du schön
- 4. Jan. 2012
Nach einer selbstauferlegten, einmonatigen Internetpause ein herzliches Hallo ins neue Jahr hinein mit den besten Wünschen an all die hier Kreisenden. Warum diese Pause in der Ausführung so konsequent war wie manch anderes Vornehmen im Alltag und warum überhaupt eine Pause von Nöten war, lest ihr hier:
Ja, diese Netzpause war in der konsequenten Ausführung etwa dem Vornehmen zuzuordnen, sämtlichen Süßkram außer Reichweite involvierter Sinne zu platzieren: irgendwo stößt man gewiss per „Zufall“ hier und da auf eine Schranktür oder Schublade, die sich wie von selbst auch ohne Code öffnen und ein (grinsendes) Stöhnen verursachen: wie, verdammt nochmal, kommen diese Kekse hierher?!! Oder das Vornehmen, die täglichen Yogaübungen und Meditationen zur körperlichen und geistigen Ertüchtigung zu vollführen, „es reichen ja schon 10 Minuten am Tag“: während am späten Abend das aufgeschlagene Buch sich gleichmäßig auf der müden Brust auf und nieder senkt, der kurze, resignierte Ausruf: das Leben ist zu kurz und ein solcher Tag erst recht (und im Stillen die bitterböse Einsicht: im Netz warst du trotz auferlegter Pause heute mindestens 60 Minuten). Und zum Vornehmen, das Bad und den Küchenfußboden mindestens so oft zu putzen, wie auch die Ställe gemistet werden: was gibt es nicht für unwiderlegbare Gründe, diesen zeitlichen Intervall zu dehnen, hinaus-zuschieben, und zu postulieren: und überhaupt hasse ich nichts mehr als Wischen; Staubsaugen okay, aber Wischen…Jaja, die Ausflüchte: Mails, klar, die muss man checken und hie und da auch beantworten – an der nicht mehr erwähnenswerten Bedeutung gemessen ist dieser Vorgang nichts anderes als Zähneputzen… Spiegel-Online o.ä. durchforsten ist das Unumstößliche, das dem einstigen Blättern in der Tageszeitung gleichgestellt ist… und hier oben auf dem Berg inmitten schwarzer Wälder, eingeschneit und abgeschnitten von jeglich lebenserhaltendem Konsumverhalten, muss auch mal eine Online-Bestellung zumindest von Büchern drin sein… und ab und an auch ein kurzer Blick auf das, was all die Menschen da draußen in den sozialen Netzwerken so umtreibt – das fällt unter den im Grunde auch nicht allzu relevanten Kontrollverlust, den man ja auch sofort wieder im Griff hat (es sei denn man folgt Linktips, wie der von Pia zu Fahrenheit Null, und denkt dabei, hey, jenseits der Buchsupermarktwunschlisten o.ä. im Netz eine prima Sache, also gleich mal anmelden – nach 41 eingegebenen Vormerkungen muss natürlich auch noch Gelesenes preisgegeben werden, und erst als nach Stunden ein mehr oder weniger wohlwollendes: wolltest du nicht eigentlich…?! von irgendwo weither ans Ohr dringt, wird man vom schlechten Gewissen gepeitscht; das wiederum hat allerdings eine ertragbares Haltbarkeitsdatum einhergehend mit wohl trainierter Verdrängung).Nungut, dies allem manches Mal trotzig wehrend, manches Mal fatalistisch ergeben gegenüberstehend, habe ich es letztlich doch geschafft, meine Netzpräsenz ziemlich zu reduzieren, und das war gut so!
Warum überhaupt eine Internetpause? oder in meinem Falle eben wahrheitsgemäßer: eine Internetreduzierung? Da war dieses plötzlich überreizte Flirren im Hirn und eine zunehmende Ungehaltenheit über die alltäglich notwendigen Dinge, die mich immer wieder vom Rechner weg holen wollten, zwei emotionale Reaktionen, die mich in einem Moment der hellsichtigen Selbstreflektion zu diesem Entschluss trieben. Es wurde schlicht und ergreifend zuviel des Guten: all diese oft interessanten Beiträge in G+ gespickt mit Links und ansehnlichen Photos, das Entdecken von Menschen, die mehr oder weniger etwas zu sagen haben und das eigene Posten, das ja auch ab und an Überlegung erfordert… das Sich-Anmelden, nach langer Verweigerung, nun doch zusätzlich bei Facebook…
( – dazu kurz ein notwendig familiärer Exkurs: seit einiger Zeit schon belagere ich meine geliebten, schon viel zu erwachsenen Inseltöchter inmitten des weiten Ozeans, mir doch aus ihrem Leben mehr Photos und Lebenszeichen per Mail zu schicken, mit nicht allzu viel Erfolg. Dies einem Freund geklagt, lacht er nur und sagt: schau doch mal auf Facebook. Gut, dann also für das Verbindende die langangehaltene Verweigerungshaltung aufgebend tue ich das mit Decknamen, ferner E-Mail-Adresse und allen möglich recherchierten Privatsphärenschutz-einstellungen und FB-Blockern (FB kriegt mich nicht auch noch! denke ich) und plötzlich breitet sich die (Netz)Welt meiner Töchter aus. Und auch wenn ich teilweise entsetzt bin über über die freizügige Öffentlichkeit vor allem von unzähligen Photos, merke ich als bisheriger SN-Hinterwäldler doch, dass sich da eine zusätzliche Brücke aufbauen kann. Und ich denke wehmütig: nachdem Briefe und Postkarten längst schon das Zeitliche gesegnet hat, smsen auch schon fast out ist und Telefonieren über diese Distanz auf Dauer zu teuer, liegt nun auch das E-Mailen in den letzten Zügen und übergibt in der Facon einer direkten, plaudernden Unterhaltung die Kommunikation an Facebook.)
Aber zurück zur Überreizung: im gleichen Atemzug zur Facebook-Anmeldung auch das Abschließen eines Probeabos für die neu aufgemachten Spiegel-Digital-Ausgaben, die natürlich auch gelesen werden müssen… das Verfolgen von sich anstauenden, interessanten Blogs… das Pflegen der eigenen Homepage… und, beim morgendliche Müsli: Papa, wie werden Haferflocken gemacht?! Na, da schauen wir doch mal zusammen in Wikipedia, um nichts Falsches zu erzählen… und natürlich all die Photocollagen, die zusammen mit weihnachtlichen Grüßen per Mail an all die Nahen versandt werden wollen (und die mannigfaltigen Antworten natürlich gelesen)… undundund… und dann kam auch noch der Eselsohren-Adventskalender hinzu und der Ehrgeiz, die richtigen Antworten im Netz zu ergründen – doch da, schon am zweiten oder dritten Türchen, kam die Intention: Schluss jetzt!!! All das wurde zu viel, ich war zu sehr eingebunden in dieses sofasitzende Paralleluniversum und musste mich zuweilen mit zu viel Mühe wieder in den haptisch greifbareren Alltag hinüber- und hineinraffen. Das tat mir nicht gut und auch den mir Nahen um mich nicht. Nun werde ich zukünftig besser strukturieren und filtern, werde mir Zeitvorgaben setzen, werde eine innere Instanz einrichten, die alarmiert, wenn der Blick hinein in dieses leuchtende Viereck zum Sog zu werden beginnt und mich wegholt von den Düften des Winters, von der warmen, nahen Haut der Lieben um mich, von den begehrenden und zugeneigten Tönen unserer Tiere… (drum ende ich nun hier und stapfe gleich keuchend zig Male durch den hohen Schnee hinauf zum Waldrand, um glücklich und von einfacher Draußen-Poesie vereinnahmt beim gemeinsamen Schlittenabfahren dem Kindesjubilieren zu lauschen, das vom Wald widerhallend sich über die weißen Wiesen und Weiden ergießt).


