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  • 15. Feb. 2015

Nun habe ich mich Wildauge doch noch bis zum Ende hin anvertraut, mich getraut und wie im Klappentext schon beschrieben: Katja Kettu nimmt nicht nur ihre Figuren, sondern auch ihre Leser in die Mangel.

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Das Ende fürchtet man und ahnt; dann doch auf der letzten Seite ein Zusammenführen der Liebenden, aber: gleich darauf kommt das Nachwort und die Ahnung wird auf anderen Wegen bestätigt.

Was für eine Schreibe! Selten hat sich ein Buch derartig direkt in mein Inneres hineingewühlt: es verstört, man möchte sich den Bildern entziehen und doch dabei bleiben, es lässt einen nicht immer den Faden halten, was aber nichts ausmacht, denn es fasziniert zugleich durch die eigensinnige, betörende Sprache, die auch der Übersetzerin Angela Plöger einiges abverlangt (auch sie hat hervorragende Arbeit geleistet). Sie schreibt: Der Text in seiner ungewöhnlichen Mischung aus krudem Realismus und bösem Märchen, seine urwüchsige Kraft und die einprägsamen Charaktere hallten noch lange nach Abschluss der Übersetzungsarbeit im Kopf nach.

Diese narrative Kraft Kettus überschreibt einige für mich literarische Gestaltungsschwächen und zu den geschichtlichen Ereignissen des Fortsetzungskrieges zwischen Finnland und Russland liest man wohl besser ein informativeres Sachbuch; aber kein Sachbuch kann derart authentisch bis in die tiefsten Tiefen hinein die Kriegsgrausamkeit fühlbar machen. Die Zeit schreibt in einer Rezension: So lebt das Buch von seiner Sprache und Symbolik. Der ruppige Ton, in dem Gewalt allgegenwärtig und in dem permanent von „Mösen“ die Rede ist, von „Schwänzen“ und „Rammlern“, passt bedrückend gut zum grausamen Geschehen. Weil der Krieg selbst in intimste Momente eine Atmosphäre größter Bedrohung trägt, produziert er Misstrauen und Angst, Abstumpfung und Brutalität – aber ebenso eine eigentümlich intensive Liebe, die Unsicherheit durch Leidenschaft kompensiert. Das Brandmal bleibt dafür nur ein Zeichen, und zwar ein besonders treffendes. Eigentlich eine Narbe, symbolisiert es auf ewig die Verbindung zwischen Wildauge und Johannes.

Braucht man solch ein Buch als empathisch feinfühliger Mensch, der zeitgeschichtlich interessiert um die Gräuel des Krieges weiß? Muss man sich das antun?! Sicherlich nicht. Doch einmal begonnen, entwindet man sich kaum dieser besonderen, einnehmenden Art zu Schreiben.

 
  • 14. Jan. 2015
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Zu Weihnachten bekam ich u.a. zwei Bücher von Per Petterson geschenkt, einem norwegischen Schriftsteller, den ich bis dahin nicht kannte. Nun habe ich zuerst seinen schon über 10 Jahre alten Roman gelesen, Pferde stehlen, und bin zwar nicht überwältigt aber doch eingenommen von der intensiven Ruhe, mit der Petterson seine Familiengeschichte sich entwickeln lässt. Sie ist gut konstruiert, man verbindet Wahrnehmung und Fühlen schnell mit den Protagonisten und kann eintauchen in die mit schönem Stil gestalteten Beziehungen der  Menschen untereinander und zur nahen Natur.

Und nun, gerade die letzten Seiten dieses ansprechenden Romans gelesen, schnappe ich mir doch gleich darauf Nicht mit mir, den neuesten Petterson, der da wartend in meinem Regal der ungelesenen Bücher steht, und freue mich darauf.

 
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Einiges habe ich gelesen in letzter Zeit oder lese noch: von Herrndorf hervorragend Unvollendetes, gute Erzählungen der jungen Köhler, immer wieder mal die soghaft schönen Atlaskapitelchen bei Ransmayers ängstlichem Menschen und noch nicht zum Ende geschafft das eindringende Dasein um Katja Kettus Wildauge. Wildauge fesselt mich in diesem derben, unauszuweichend direkten Stil des Schreibens, doch da ich meist Abends lese und mich die düsteren Bilder in die Nacht hinein verfolgen, habe ich es in dieser frühdunklen Jahreszeit beiseite gelegt für irgendwann, und dann schaue ich mit gewappneterer Leseseele.

Und dann kam da in den Adventstagen der neue Botho Strauss daher – was für ein schönes, schlichtes, kluges, der eigenen Herkunft zugeneigtes Buch! Bisher war Strauss aus welchem Grunde auch immer an mir vorübergegangen; vor 2 Jahren etwa hatte ich in einem neueren Roman von ihm gelesen, doch ich konnte seinen Gedankengängen nicht folgen und schloss dieses Buch vorzeitig. Nun also Herkunft, und sein Geschriebenes drängt mich seit langem mal wieder zu rezensierenden Gedanken: dort.

 

Autor von Hirnstromern

Matthias Wagner

menschliche würde orthopädie des aufrechten gangs also kein gekrümmter rücken vor königsthronen nimm deine füße unter die arme und lauf cry baby nur der frieden ist es mein sohn wofür wir leben die beherrschung der natur ist gekoppelt an die verinnerlichte gewalt des menschen über den menschen gekoppelt an die gewalt des subjekts über seine eigene natur you can go all around the world trying to find something to do with your life baby when you only gotta do one thing well

Aus Wolkenbruch

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