- 8. Mai 2016
Eine harte Bank im Rücken auf einem Spielplatz mit sommernden Kinderstimmen: ich beginne in Entwürfe eines dritten Tagebuches des alternden Max Frisch zu blättern. Es tut gut, mal wieder Schriftstellerworte auf bedrucktem Papier zu lesen:
Ich bin nicht krank oder ich weiss es nicht. Was ist bloß mit den Wörtern los? Ich schüttle Sätze, wie man eine kaputte Uhr schüttelt, und nehme sie auseinander; darüber vergeht die Zeit, die sie nicht anzeigt.
Beim Lesen überlege ich mir, ob ich vielleicht nicht auch mal meinen eigenen Tagebuchstil ändern sollte: weg von den einfachen, chronologischen Worten, welche die ewiglichen Erinnerungsabläufe triggern beim Wiederlesen (in memoriam der in mehr als einem halben Jahrhundert niedergeschriebenen Tagebuchlebensablaufeinträge meines Väterchens). Alles etwas gehaltvoller, reflektierender, im Besonderen beobachtend gestalten. Bin ich denn gehaltvoll in meinen Gedanken? Anspruchsvolles Denken kann man sich aneignen und auch sich abeignen, wie ich zunehmend in den letzten Jahren des vermehrt körperlich bäuerlichen Seins mit Tieren, des seelischen Überdierundenkommens und des derzeit geistfauleren Regenerierens. Nun aber habe ich wieder ein Buch in der Hand – seit Januar diesen Jahres ist es das Erste, was für eine lange Zeit – und ich wünsche mir von mir, dass diese vergangene Phase kein Einläuten in ein unabsehbar buchloses Dahinvegetieren im Dschungel der digitalen Medien war.
- 22. Sept. 2015
Steinfest’s Allesforscher und Glavinic‘ größeres Wunder sind gelesen und der Herbst kommt mit schnellen Winden. In beiden Büchern finden sich die vorrangigen Protagonisten irgendwann in den alpinen Bergen wieder, beide werden umwoben von mehr oder weniger außergewöhnlichen, märchennahen Umständen und Geschehnissen, beide werden begleitet von einer literarisch eher dürftigen Sprache, aber ich war doch meist involviert in die sich entwickelnden Geschichten. Der Allesforscher, der sich vor allem zum Ende hin mehr und mehr in wenig fesselnden Traumerzählungen verliert, verliert sich auch schnell im Geiste, es bleibt letztlich nicht viel Erinnerungswürdiges haften.

Das größere Wunder hat mich trotz des prallgefüllten, immer wieder am Kitsch schrammenden Inhalts mehr bei sich gehalten in seiner narrativen Form und dem doch spannenden Verlauf hoch oben über der Welt auf deren höchstgelegensten Dach. David Hugendick schreibt bei ZeitOnline: Ohne den Preis des Kitschs ist so eine Fantasie schwer zu haben. Und es mag sein, dass Glavinic hier ein Spiel mit dem Kitsch inszeniert. Falls ja, dann übertreibt er es manchmal, und der Roman entwickelt besonders im letzten Drittel einen Hang zum Sentenziösen, je weiter Jonas von seinem bisherigen Leben entrückt: „Wir sind nichts. Wir sind so wenig, dass es eigentlich zum Totlachen ist. Aber genau darum ist das Leben so kostbar.“ Und so weiter. Man ist an einigen Stellen hin- und hergerissen: Da ist einerseits Glavinics elegant dahinfließende Sprache, die glänzend beschriebene Weltverlassenheit im Angesicht des Berges, der mechanischen Abfolge von Trinken, Frieren, Schlafen, Klettern, Abenteuertourismus und tiefgekühlten Leichen. Andererseits stolpert man mitunter über Bremshügel von bistrophilosophischem Schwulst. Aber der erscheint im Gesamten verzeihlich – zumal, da wir uns ja in einem Märchen befinden. Und am Ende überwiegt die Souveränität, mit der Glavinic seine Dialoge schreibt, seine Kunstfertigkeit, mit der er seinen Jonas auf die Spitze treibt.
Und nun freue ich mich auf Der Herr der kleinen Vögel von Yoko Ogawa, ein Buch, das sicher mit leiseren Tönen aufwarten wird.
- 31. Aug. 2015
Heute Morgen mit dem ersten Augenaufschlag ist schon klar: auch wenn das Geld dafür zusammen-geklaubt werden muss, nach dem Frühstück geht’s in den Buchladen, nicht wie meist mit im Netz vorsortierten Tendenzen, sondern mit spontaner Wühllust. Wobei das vorfreudige Eintreten in den Buchladen dann doch mit kleinen Vorgaben verbunden ist: maximal 3 Bücher, nur von mir bisher ungelesene Autoren, und es muss schnell aus dem Bauch raus entschieden werden, nur Klappentext und die ersten paar Zeilen… letztlich geht alles schneller als gedacht und keine 15 Minuten später sitze ich wieder auf dem Rad und steuere mit drei Büchern im Rucksack eine Bank im Halbschatten in der Freiburger Wiehre an. Ein herrlich erfrischender Wind weht, endlich, endlich! ist wieder die Hitze verdrängt von zu durchatmenden Lüften, Blaues und schnellziehende Wolken wechseln sich ab dort oben, fast meine ich schon einen leichten Hauch von Herbst zu spüren. Dann legen sich die Bücher, beinahe ein wenig drängend und gespannt auf den noch unbekannten Leser, neben mich: Das größere Wunder von Thomas Glavinic, Der Allesforscher von Heinrich Steinfest und Der Herr der kleinen Vögel von Yoko Ogawa. Ich wähle zuerst den Allesforscher für ein Anlesen, die ersten 30 Seiten gefallen mir, also bleibe ich dabei.
Ein guter Einstieg in den Tag…


